30. Juli 2020, 4:29 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Werden Apfelsorten nicht entsprechend kultiviert, kann sie irgendwann aussterben. Da es im Handel regelmäßig neue Obstsorten gibt, geraten viele alte Sorten in Vergessenheit. Eine Gruppe von Obstbaukundlern will das ändern.
Obstbäume standen früher auf bäuerlichen Wiesen und in vielen Gärten. Inzwischen kaufen die meisten Menschen Äpfel und Birnen im Supermarkt, wo regelmäßig neue Sorten im Regal liegen. Dass gleichzeitig alte Sorten verschwinden, sehen die Obstbaukundler des Pomologen-Vereins als großen Verlust.
Für den Erhalt alter Sorten in Niedersachsen setzt sich der Diplom-Biologe Michael Ruhnau ein. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt er, wo solches Obst zu finden ist und warum die teils vergessenen Sorten unbedingt erhalten werden sollten.
Wie viele alte Obstsorten gibt es in Niedersachsen?
Ruhnau: Das weiß niemand. Es sind auf jeden Fall ein paar Hundert, wenn nicht auch über 1000. Bundesweit sind es mehrere Tausend Sorten, die im Erwerbsobstanbau keine Rolle mehr spielen.
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Gibt es in Niedersachsen Regionen, die besonders reich sind an alten Sorten?
Ruhnau: Das sind jedenfalls nicht die Obstanbaugebiete, nicht das Alte Land. Dort wurde immer mit der Zeit gegangen. Das Wendland ist sicherlich reich an alten Obstsorten, in Ostfriesland gibt es auch viele interessante Regionen, eigentlich überall dort, wo es noch alte Streuobstwiesen gibt, also Bäume auf bäuerlichen Obstwiesen.
Was muss man tun, um alte Obstsorten zu erhalten?
Ruhnau: Ohne Pflege – das ist vor allem der Schnitt – kommen die Bäume schneller in ein Stadium, in dem sie beginnen abzusterben. Wenn Sie einen Baum regelmäßig schneiden, kann er sich verjüngen, indem er neue Triebe bildet. Dann lebt der Baum länger. Vermehren können Sie eine Sorte nicht durch Aussaat, sondern nur durch Veredelung. Dazu schneidet man junge Triebe im unbelaubten Zustand und setzt sie im Frühjahr auf eine Unterlage, das heißt auf einen Wurzelstock. Es gibt unterschiedliche Techniken, damit sie miteinander verwachsen. So entsteht ein Klon von der Ursprungsart. In der Geschichte des Apfels ist die Veredelung enorm wichtig.
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Vermehrt sich eine Sorte nicht von selbst, wenn z.B. Äpfel auf den Boden fallen und aus den Kernen neue Bäumchen wachsen?
Ruhnau: Nein, denn Obstsorten sind Individuen. Bei der Aussaat bekommt man ein neues Individuum mit einem neu zusammengesetzten Erbgut. Ein Apfelbaum zum Beispiel braucht zur Befruchtung eine zweite passende Sorte. Die Frucht hat dadurch die Erbanlagen beider Elternpflanzen. So entstehen in der Natur immer neue Sorten. Nehmen wir die Sorte Uphuser Tietjenapfel. Wenn der letzte Baum dieser Sorte verschwunden ist, ist die Sorte für immer weg.
Warum sollten wir alte Obstsorten erhalten?
Ruhnau: Die Sorten für den Handel haben fast alle dieselben Elternsorten. Dadurch haben wir eine gewisse Anzahl von Obstsorten auf dem Markt, aber sie sind genetisch miteinander verwandt. Alte Obstsorten sind interessant, weil sie einen sehr großen Genpool bilden. Da gibt es eine enorme Vielfalt. Das kann wichtig sein, auch mit Blick auf den Klimawandel. Der Verlust alter Obstsorten ist aber nicht nur ein Verlust an genetischer Vielfalt, sondern auch ein kultureller Verlust. Der Anbau von Obst ist eine kulturelle Leistung gewesen, mit Bräuchen und bestimmten Gerichten. Wenn das einfach verschwindet, finde ich das enorm schade.