2. September 2019, 15:01 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
„Weißt du eigentlich, wie Bäume aussehen?“ – „Gibt es in Berlin überhaupt grüne Flächen?“ Fragen wie diese wurden unserer Redakteurin Laura Graichen schon des Öfteren gestellt. Von Menschen, die nicht in Berlin leben, sich in der Stadt offenbar nicht sonderlich gut auskennen und zudem von unsinnigen Vorurteilen geplagt sind. Denn „obwohl“ sie ein Stadtkind ist, kann sie ein kleines Stück Natur ihr Eigen nennen – und das mitten in Berlin.
In der Hauptstadt gibt es deutschlandweit die meisten Kleingärten, insgesamt 67.000 Parzellen und 738 Vereine. Seit mehreren Generationen pachtet meine Familie einen Schrebergarten in Berlin-Schmargendorf. Die Kolonie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet und ist eine der ältesten Berlins.
Ursprünglich gehörten zu unserer Kolonie 438 Parzellen, was sie zur größten in Wilmersdorf machte – der Bezirk, zu dem Schmargendorf gehört. Vor drei Jahren reduzierte sich die Zahl aber aufgrund von neuen Hausbauten gezwungenermaßen auf 287. Glücklicherweise blieb unsere Parzelle von Baggern und Walzen verschont.
Die Vorteile eines Kleingartens in der Stadt
Unsere Kolonie ist nicht weit von den U-Bahnhöfen Heidelbergerplatz, Rüdesheimerplatz und Breitenbachplatz entfernt. Damit liegt sie (für mich und meinen Wohnort) sehr zentral und bietet trotzdem einen Rückzugsort direkt ins Grüne.
Und genau das ist meiner Meinung nach der größte Vorzug eines eigenen Kleingartens. Natürlich gibt es in Berlin zahlreiche öffentliche Parks und Waldstücke, in denen man spazieren gehen oder sich sonnen kann. Allerdings muss man diese teilen. Mit Menschen, die manchmal schräg drauf sind, nicht merken, wenn sie zu laut sind oder solche, die keine Probleme damit haben, zu viel von sich zu zeigen. Danach steht einem vielleicht nicht immer der Sinn.
Erfahrungen dieser Art konnte ich umgehen. Seitdem ich klein bin, fahre ich bei den ersten Sonnenstrahlen in unseren Garten. Dabei haben sich die Vorzüge im Laufe der Jahre natürlich verändert. Früher hatte ich eine kleine Buddelkiste, die ich nur mit meiner Schwester teilen musste. An heißen Sommertagen hatten wir ein kleines Schwimmbecken für uns oder konnten uns im Rasensprenger abkühlen. Sowohl unseren Eltern als auch uns blieb auf diese Weise der Besuch eines überfüllten Freibads erspart. Je älter ich wurde, desto dankbarer wurde ich aber vor allem dafür, ein privates Stückchen Natur für mich zu haben.
Nicht zu vergessen die zahlreichen Grillabende, die sich im eigenen Garten unproblematisch gestaltet haben. Während sich Mieter oder Parkbesucher oftmals fragen, ob sie auf dem eigenen Balkon oder im Stadtpark überhaupt grillen dürfen, stellte sich uns diese Frage nie. Die einzige Frage, die sich uns stellte, war: Wann schmeißen wir den Grill wieder an?
Früh die Natur kennenlernen
Was jetzt nach einer Menge Spaß und Ungezwungenheit klingt, muss allerdings in gewisser Weise relativiert werden. Denn ein Kleingarten dient nicht allein der Entspannung. Auf Nachfrage von myHOMEBOOK erklärt Thomas Wagner vom Bundesverband Deutscher Gartenfreunde: „Wer einen Kleingarten pachtet, hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Mit der Anerkennung der Gartenordnung verpflichtet sich die Pächterin oder der Pächter zur kleingärtnerischen Nutzung. Das bedeutet, auf mindestens einem Drittel der Fläche müssen Obst, Gemüse und andere gartenbauliche Erzeugnisse wie Gartenkräuter angebaut werden.“ Damit steht fest, dass man als Kleingartenbesitzer nicht um Gartenarbeit, Ernte, Rasenpflege und Handwerksarbeiten herumkommt.
Allerdings stellt genau das in meinen Augen einen weiteren Vorteil dar. Ich habe schon früh damit begonnen, mich mit Pflanzenarten, Gewächsen und Bäumen auseinanderzusetzen. Ich konnte in jungen Jahren Blumen und Bäume nicht nur bereits richtig benennen, sondern wusste auch, wann sie blühen, wie sie gepflegt werden und welche von ihnen zwar hübsch aussehen, aber nicht angefasst werden dürfen.
Selbst Obst und Gemüse anbauen
Das Beste an den garteneigenen Pflanzen war aber nicht der Lehreffekt, sondern die Ernte. Nichts geht über frische Erdbeeren, Himbeeren, Kirschen und Äpfel, die unbehandelt direkt im Mund landen können. Und ich kann gar nicht sagen, wie viele Gemüsesuppen es dank der geernteten Bohnen und Kartoffeln gab.
Neben dem einzigartigen Geschmack erinnere ich mich außerdem an die Erfolgserlebnisse – wenn meine selbst gepflanzten Samen tatsächlich zu einer Pflanze heranwuchsen und bestenfalls am Ende sogar Früchte trugen und sich über ein ganzes Beet ausbreiteten.
Die Geschichte der Kleingärten
Tatsächlich liegt genau darin auch die Entstehung der Kleingärten begründet, die es bereits seit über 150 Jahren gibt. Die Vorläufer der heutigen Kleingärten hießen im 19. Jahrhundert „Armengärten“. Der ursprüngliche Sinn solcher Gärten war, dass sich Bedürftige selbst versorgen sollten, anstatt finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen.
Des Weiteren gehen Schrebergärten auf den gleichnamigen Leipziger Arzt Dr. Schreber zurück. Sein volkspädagogischer Grundsatz war damals, Kinder in der Natur großzuziehen und sie körperlich zu ertüchtigen. Ein Schuldirektor gründete auf dieser Idee basierend einen Eltern- und Lehrerverein namens „Schreberverein“. Im weiteren Verlauf dieses Projekts hatte man sogenannte Kinderbeete angelegt, aus denen sich schließlich Familiengärten entwickelten – quasi die Urform von Schrebergärten.
Ganz besondere Bedeutung erlangten Schrebergärten aber während des 1. Weltkrieges. Sie ermöglichten, die städtische Bevölkerung trotz Krisenlage durch den Anbau von Lebensmitteln zu ernähren.
Kleines Paradies Warum Kleingärten gerade so gefragt sind
Mietgärten im Trend Gärtnern auch ohne eigenen Schrebergarten
Generationswechsel Kleingärten durch Corona immer begehrter
Mein Fazit
Heutzutage sind Schrebergärten zum Glück nicht mehr existenzentscheidend. Für mich sind sie das in gewisser Weise aber doch. Ich habe die Möglichkeit, ohne großen Aufwand in kurzer Zeit in die Natur zu flüchten. Ich kann barfuß und gedankenverloren über meine eigene Wiese laufen, mein Handtuch irgendwo ausbreiten und den hektischen Alltag der Großstadt hinter mir lassen. Kurz gesagt: Unsere kleine Gartenparzelle bedeutet für mich Freiheit.