3. Mai 2023, 16:57 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Der Rasen ist vielen Hobbygärtner heilig und wird entsprechend mit viel Liebe und Hingabe gepflegt und gekürzt. Den tierischen Bewohnern des Gartens tut man damit jedoch keinen Gefallen. Die Aktion „Mähfreier Mai“ ruft dazu auf, im Mai den Rasenmäher ruhen zu lassen.
Die Aktion „No Mow May“ oder zu Deutsch „Mähfreier Mai“ ruft dazu auf, diesen Monat lang nicht den Rasen zu mähen. Lässt man die Rasenfläche eine Zeit lang wachsen, können sich auch Wildkräuter und Blumen wie Gänseblümchen auf der Fläche bilden. Sie sind für viele Insekten Nahrung und Nistplatz. Ihren Ursprung hat die Aktion in Großbritannien. Ausgerechnet – das Land ist bekannt für seine feine Rasenkultur und die akkurat geschnittenen grünen Flächen. Aber dort lassen Hobbygärtner schon seit längeren die Rasenmäher im Mai stehen. Die Aktion kam 2021 offiziell nach Deutschland. Die Gartenakademie Rheinland-Pfalz, die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft 1822 (DGG-1822) und die Initiative „Tausende Gärten – Tausende Arten“ rufen zum „Mähfreien Mai“ auf. Die DGG-1822-Geschäftsführerin Bettina de la Chevallerie erklärt im Interview, warum man im Mai auf das Rasenmähen verzichten sollte.
Warum man auf Rasenmähen im Mai verzichten sollte
Warum ist Rasenmähen problematisch?
Bettina de la Chevallerie: „Ein perfekt gepflegter Rasen bietet Insekten kaum Futter und Nistmöglichkeiten. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich der Anteil an nektarreichen Blüten um ein Zehnfaches erhöht, wenn man den Rasenmäher häufiger stehen lässt. Ähnliches haben auch die Gartenbesitzer beobachtet, die sich im vergangenen Jahr am mähfreien Mai beteiligt und für den Wettbewerb Fotos eingeschickt haben.“
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Welche Pflanzen haben sich im Rasen entwickelt?
„Als Erstes natürlich Schnellstarter wie Gänseblümchen, Gundermann, Ehrenpreis, Klee und Löwenzahn. In einigen Gärten kamen aber auch Margeriten und Schlüsselblumen zum Vorschein. Gänseblümchen, Klee und Löwenzahn sind oft als Unkraut verpönt. Die Pflanzen sind aber kein Unkraut, sondern Wildkräuter. Sie haben einen hohen ökologischen Wert für die Insekten. Je mehr wir über diese Pflanzen wissen, desto mehr wächst auch die Akzeptanz. Das ist alles eine Frage des Bewusstseins.“
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Sieht ein ungemähter Rasen nicht unordentlich aus?
„Auch eine vermeintliche Unordnung kann durch Gestaltung ordentlich wirken. Man muss ja nicht den gesamten Rasen mähen, sondern kann Stellen mit unterschiedlichen Höhen stehen lassen – an den Ecken, am Rand oder mittendrin als Insel. Auch ein gemähter Weg durch das hohe Gras kann Ordnung bieten. Und wiesenähnliche Säume, die nur einmal im Jahr gemäht werden, dienen als Puppenstube für Schmetterlinge.“
Was haben wir Menschen davon?
„Wir können uns entspannt in den Liegestuhl legen, den Garten genießen und ihn ganz anders wahrnehmen. Wir können Falter beobachten, neue Pflanzen entdecken und sie per App bestimmen – oder uns einfach darüber freuen, dass sie da sind.“
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»Ich bin nicht faul, sondern tue etwas für die Insekten
Und wenn die Nachbarn sich beschweren?
„Sprechen Sie mit Ihnen. Sagen Sie Ihnen: Ich bin nicht faul, sondern tue etwas für die Insekten. Nichtstun kann in diesem Fall sehr ökologisch sein.“
Ist die Aktion angesichts des immensen Insektensterbens nicht ein Tropfen auf dem heißen Stein?
„Nein, ist sie nicht. 75 Prozent der Haushalte haben einen Garten, 7 Prozent einen Schrebergarten und weitere 7 Prozent der Haushalte sind in Gemeinschaftsgärten aktiv. Dazu kommen öffentliche Grünanlagen und Parks – also enorm viel Fläche, auf die wir mehr Einfluss nehmen können als auf die Landwirtschaft. Schon jetzt wissen wir, dass es in privaten Gärten mehr Nischen und eine höhere Artenvielfalt gibt als in der freien Natur. Im Garten selbst macht ein Rasen meist die größte Fläche aus. Wenn wir hier etwas verändern, können wir viel erreichen.“
Wie oft ist es aus Ihrer Sicht notwendig, Rasen zu mähen?
„Das kann man nicht so pauschal sagen. Es kommt auf die Nutzung an. Wenn Kinder auf dem Rasen Fußball spielen wollen, sollte er eher kurz sein. Aber die Fläche lässt sich auch in unterschiedliche Rasen- und Wiesenbereiche unterteilen. Einen Blumenkräuterrasen muss man vier- bis sechsmal im Jahr mähen, eine Blumenwiese nur zwei- bis dreimal. Die Mahd bleibt dann zum Trocknen auf der Fläche. So können die Samen noch aus den Samenständen herausfallen und in den Boden gelangen.“
Am besten von innen nach außen mähen
Wie mäht man so, dass es besser für die Natur ist?
„Am besten mäht man von innen nach außen, damit die Insekten in die Hecken oder auf den Nachbargarten fliehen können. Empfehlenswert sind Sichel, Sense, Freischneider oder Balkenmäher. Ein Sichelmäher saugt Insekten ein. Für die Höhe gibt es eine Faustregel: Eine liegende Bierflasche sollte noch unter den Rasenmäher passen. Darunter reißt man zu viel aus oder schneidet zu tief ein, sodass nichts mehr blüht.“
Woran kann es noch liegen, dass nichts blühen will?
„Das kann verschiedene Ursachen haben. Wurde das Gras zu dicht gesät, ist es für die Wildpflanzen schwer zu keimen. Auch Pestizide und zu viel Dünger verhindern Aufwuchs.“
Wie kann man Wildpflanzen ansiedeln, auch an moosigen Stellen?
„Am effektivsten ist es, den Rasen aufzuhacken und die Wildpflanzen in die nackte Erde zu säen. Das kann man auch stellenweise machen. Säen sich die Wildpflanzen dann selber aus, können sie sich von dort langsam über die Fläche ausbreiten.“
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Was kann man noch tun, um den Rasen ökologisch wertvoller zu gestalten?
„Sinnvoll ist es, organischen Dünger zu verwenden und diesen sparsam einzusetzen. Ebenso sollte man auf Pflanzenschutzmittel verzichten – nicht nur auf dem Rasen, sondern auch in den Beeten. Denn alles hat Auswirkungen auf die Nachbarflächen. Unordentliche Ecken mit Totholz und Brennnesseln können sich zu kleinen Biotopen für Käfer, Wildbienen und Schmetterlinge entwickeln. Und kleine Senken und Schalen, in denen sich Wasser sammeln kann, sind wertvolle Insektentränken.“
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Was bringt es, nur einen Monat lang nicht zu mähen?
Die Organisation Plantlife hat laut der DGG 1822 in Großbritannien die Folgen des „No Mow May“ analysiert und herausgefunden, dass sich der Nektar, der Insekten auf Rasen zur Verfügung steht, um ein Zehnfaches erhöht.
Man kann auch die eigenen Erfolge erfassen und am Wettbewerb „Jede Blüte zählt“ mitmachen: Ab dem 22. Mai einen Quadratmeter der ungemähten Rasenfläche auswählen, markieren und ab dann an jedem Tag der letzten Mai-Woche alle vorkommenden Blüten zählen. Die Vielfalt wird in einer Wettbewerbstabelle eintragen. Die 25 artenreichsten Gärten werden prämiert.
mit Material der dpa