26. April 2022, 17:54 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Das Interesse, auf dem Land zu wohnen, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Bei denen, die dort aufgewachsen sind, aber auch bei den Großstädtern, die sich einen Perspektivenwechsel wünschen. Denn das Bedürfnis nach mehr Ruhe und Natur ist wieder in den Mittelpunkt gerückt und gewinnt dem urbanen Wohnen somit etwas ab. Aktuelle Bautrends erleichtern die Flucht aufs Land.
Das Deutsche Architekturmuseum zeigt in einer derzeitigen Ausstellung namens „Schön hier. Architektur auf dem Land“, wie innovativ und interessant Bautrends auf dem Land sind. Leider ist die Baukultur in ländlichen Räumen zunehmend in Vergessenheit geraten. Jedoch schaffen jetzt neue Trends in der Architektur neue Anreize, die das Leben auf dem Land attraktiver machen können. myHOMEBOOK-Autorin und Architektur-Expertin Daniela Matsuzaki zeigt einige Beispiele aus der Ausstellung.
Übersicht
Ländliches Bauen attraktiver gestalten
„Die ganze Welt spricht vom Prozess der Urbanisierung und dass in Zukunft die Hälfte der Menschen in Städten leben wird. Mein Interesse gilt der anderen Hälfte.“
Sami Rintala
Für den finnischen Architekten Sami Rintala stellt das Bauen auf dem Land eine Besonderheit dar. Denn in den letzten Jahren war der Fokus sehr stark der Urbanisierung zugewandt. Der ländliche Raum verlor dadurch zunehmend an Attraktivität. Mittlerweile hat sich jedoch in der Architektur auf dem Land eine Menge getan. Ländliche Räume geraten dabei immer mehr in den Fokus.
Viele kleine Städte und Dörfer in Deutschland sind dabei durchaus ansehnlich und attraktiv. Nicht zuletzt wegen ihrer naturnahen Lage, ihrer funktionierenden Infrastruktur und den kompakten Ortskernen. Alles ist gut zu Fuß oder mit dem Rad zu erreichen. Regionale Entwicklungen und Bautrends sind daher essenziell, denn somit können bessere Lebensräume sowie Wohn- und Arbeitswelten geschaffen werden.
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Bautrends auf dem Land zwischen Tradition und Moderne
Was die Architektur auf dem Land so interessant macht, ist die Verbindung von Tradition und Moderne. Aber auch die Umnutzung und Sanierung von Gebäuden liegt im Fokus der neuen Bautrends auf dem Land. Ob das nun Mehrfamilienhäuser, Bürobauten, Weingüter oder Gemeindebauten sind – die individuell vorgegebene Situation macht den Schwerpunkt der Gestaltung aus.
Besonders attraktiv ist jedoch der Kontrast zwischen dem Traditionellen und dem Zeitgenössischen. Das schafft einen besonderen Anreiz beim Bauen. Die Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum legt ihren Schwerpunkt auf Architektur, die von Menschen, die dort Leben, beeinflusst wurde – vom Gemeinderat zur lokalen Architektin über den Winzer bis hin zum Bürger. Und nicht zuletzt diejenigen, die Initiativen, Bauvorhaben und Beteiligungsprozesse selbstbestimmt umgesetzt haben und somit den Bautrends auf dem Land eine Richtung geben.
Vom Schafstall zum Schlafsaal
Bei diesem fertiggestellten Projekt 2019 von „Studio Gründer Kirfel“ wurde die Remise eines Gutshofs in Thüringen zu einem modernen Arbeits- und Wohnort umgestaltet. Das Gebäude orientiert sich an der „örtlichen Bautradition“ und fügt sich in die umgebenden Gebäude ein. Das Gebäude wurde auf den Grundmauern eines alten Schafstalls errichtet, deswegen wird die Remise auch neckisch „Sch(l)afstall“ genannt.
Es ist eines der ersten fertiggestellten Projekte der internationalen Bauausstellungen Thüringen. Bei diesem Bau hat man bewusst Fichte in Standardabmessung aus dem Sägewerk benutzt. Bei der Fassade kam Kiefernholz zum Einsatz – beides sind heimische Hölzer. Eine mineralische Dämmung aus geblähtem Ton und Lehm rundet das Ganze ab. Da das Architektenpaar keine Fertigfenster verwenden wollte, wurden diese in Eigenregie kreiert. Ein gelungenes Bauprojekt, was den Bautrends auf dem Land mehr als gerecht wird.
Wohnsiedlung in Bludenz, Österreich 2019
Diese acht dreigeschossigen Gebäude scheinen auf den ersten Blick ähnlich zu sein. Jedoch gleicht keines dem anderen. Die Fassade besteht bei allen der acht Häuser aus heimischer Weißtanne. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen Bautrend, den man auf dem Land öfter sieht – die Verwendung heimischer Hölzer. Die Gebäude sollen in ihrer unterschiedlichen Ausrichtung den Eindruck eines Dorfes vermitteln. Zudem ähneln sie einem denkmalgeschützten Bestandsbau im Ort. Insgesamt besteht das Konglomerat aus 67 Wohneinheiten in unterschiedlichen Größen. Das Wohndorf schmiegt sich gut in die umgebende Natur ein. Es wirkt leicht und natürlich und bietet auch viel Raum für die Anwohner.
Die Holzkonstruktion ist mit einer Mineralwolldämmung versehen. Die begrünten Flachdächer sorgen für zusätzliche Dämmung. Und in den Dachterrassen ist Hochleistungsdämmstoff angebracht. Errichtet wurde das ganz 2019 und kreiert vom Architekturbüro feld72.
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Gemeindebücherei in Gundelsheim, Deutschland
Ein traditionelles Wohnhaus ist in diesem Beispiel durch den Anbau einer Gemeindebücherei attraktiver geworden. Orientiert hat man sich beim Entwurf an einem „regional vertrauten Dreiklang eines fränkischen Bauernhausensembles: Haus – Stall – Scheune“. Auch dabei handelt es sich um einen Bautrend, den man aktuell auf dem Land verzeichnet: die Bewahrung alter, traditioneller Baumuster.
Die kleine Gemeinde mit 3.600 Einwohnern in Oberfranken hat nun einen neuen Ortskern, der mehr Attraktivität bietet. Nicht nur architektonisch, sondern auch gemeinschaftlich. Die Bücherei bietet sehr viel Raum, es wurde ein neuer Doppelgiebel errichtet. Zudem entstand ein öffentlicher Raum, der „über einen Lesehof die innere Funktion des Gebäudes nach Außen weiterführt“. Natürliche Materialien wie Holz, Stein und Putz spiegeln das bekannte Erscheinungsbild und möchte dabei nicht auffallen. Der neue Zusatz soll inspirieren und zur Nachahmung anregen.