23. Juni 2023, 10:34 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Eine Wohnung kann viel über den Bewohner preisgeben. Aber sagt sie auch etwas über dessen Charakter aus? myHOMEBOOK hat bei einer Wohnpsychologin nachgefragt.
In den eigenen vier Wänden will man sich wohl und zu Hause fühlen. Entsprechend richtet man die Räume in der Regel auch ein. Doch wie viel kann die Einrichtung über die eigene Persönlichkeit verraten? Und wie viel Wahrheit steckt eigentlich in dem Satz „Zeig mir, wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist“? myHOMEBOOK hat mit Wohnpsychologin Melanie Fritze darüber gesprochen.
»Wohnpsychologen haben den Menschen im Blick
Während Architekten in der Regel den Fokus auf das Gebäude legen und Inneneinrichter sich vor allem um schön gestaltete Räume kümmern, haben Wohnpsychologen den Menschen, der in den Räumen wohnt, im Blick. „Ich habe den Menschen zuerst im Fokus und beginne bei seinen individuellen Wohnbedürfnissen und gestalte dann den Raum entsprechend“, erklärt Wohnpsychologin Melanie Fritze im myHOMEBOOK-Interview.
Die Wohnbedürfnisse entscheiden, wie gut wir in Räumen wohnen oder auch arbeiten können und ob wir uns dort wohlfühlen. Laut Fritze können Räume, die nicht zu unseren Wohnbedürfnissen passen, uns negativ beeinflussen. Meist nehme man das eher unterbewusst wahr, so Fritze. Daher geht es bei der Arbeit von Wohnpsychologen vor allem darum, herauszufinden, was der Raum braucht, damit sich der Bewohner darin auch wohlfühlt.
Laut Fritze hat jeder Mensch die gleichen Wohnbedürfnisse – allerdings unterschiedlich stark oder schwach ausgeprägt. Sie entstehen demnach vor allem durch Erfahrungen, die man gemacht hat, die Wohngeschichte und unterschiedliche Sensibilität in der Wahrnehmung und dem Umgang mit Reizen
Warum die Einrichtung nicht die Persönlichkeit ausmacht
„Zeig mir wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist“ – ein Satz, den man häufiger mal liest. Aber stimmt er? Nein, sagt Fritze. „Als Wohnpsychologin kann ich diesem Satz nur ganz bedingt zustimmen“. Denn das Zuhause sieht eben nicht immer genau so aus, wie man sich das wünscht oder vorstellt.
Unter anderem spielen finanzielle Aspekte eine große Rolle. Hat man nur wenig Geld zur Verfügung oder passen der persönliche Geschmack und das eigene Budget nicht zusammen, dann spiegelt die Einrichtung nicht gleich die ganze Persönlichkeit wider oder etwa den Stil, der einem gefällt.
Ein weiterer Punkt, warum Fritze dem Satz nur bedingt zustimmen kann, ist, dass häufig mehrere Personen in einem Haushalt leben. Betritt man also die Wohnung eines Paares, dann kommen dort mehrere Wohnstile zusammen.
Zudem, so die Wohnpsychologin, werden Einrichtungsstile auch von Trends beeinflusst. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die Einrichtung oder die Wohnung auch zur Persönlichkeit des Bewohners passt. Denn auch, wenn einem beispielsweise große Fenster gefallen, insbesondere, weil sie gerade angesagt sind, dann heißt das noch nicht, dass sie auch zum persönlichen Wohnbedürfnis passen.
Was Einrichtungsstile über die persönlichen Wohnbedürfnisse aussagen können
Skandinavischer Stil
Beim skandinavischen Stil, auch Scandi-Chic genannt, dreht sich alles um Gemütlichkeit. Helle Möbel, Holz, Naturfarben, wenige Muster und klare Linien machen den Einrichtungsstil aus.
Für Melanie Fritze kann dieser Stil einen Hinweis darauf geben, dass der Bewohner ein hohes Bedürfnis nach Erholung und Regeneration hat. „Der skandinavische Stil ist sehr überschaubar und das kann ein Hinweis darauf sein, dass es ein Bedürfnis nach Schutz und Geborgenheit gibt“, so Fritze. „Wenn die Dinge überschaubar sind, dann habe ich das Gefühl, dass ich mehr Kontrolle darüber habe und wenn ich die Kontrolle habe, dann fühle ich mich auch sicherer“, erklärt die Wohnpsychologin.
Boho-Stil
Für den perfekten Boho-Stil kommt es vor allem auf die richtigen Materialien an – egal, ob man den Einrichtungsstil eher bunt oder schlicht umsetzt. Wichtig sind Elemente aus Treibholz, Korbgeflechten oder auch Rattan.
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„Die Gestaltung und Entfaltung sind beim Boho-Stil sicherlich ein wichtiger Aspekt. Die individuelle Gestaltung, vielleicht sogar gepaart mit Mitbringsel von irgendwelchen Reisen – da besteht auch ein Bedürfnis nach Selbstdarstellung“, so Fritze. Selbstdarstellung ist hier eher mit dem Begriff der Anerkennung zu vergleichen, so die Wohnpsychologin. Heißt, das eigene Zuhause beziehungsweise die Einrichtung soll den Status oder auch die Werte, die einem wichtig sind, widerspiegeln. Laut Fritze ist beim Boho-Stil das Bedürfnis nach Aneignung und Selbstentfaltung stark ausgeprägt.
Stilvolles Retro-Design
Wohnungen, die im Retro-Stil eingerichtet sind, ahmen meist auch ein bestimmtes Jahrzehnt nach. Besonders beliebt sind dabei die 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre. „Ich würde annehmen, dass da auf jeden Fall das Bedürfnis nach Ästhetik wichtig ist. Man möchte eine angenehme und schöne Umgebung gestalten“, so Melanie Fritze. Dabei spiele auch der Wunsch nach Vertrautheit eine wichtige Rolle.
Die Wohngeschichte spielt laut der Wohnpsychologin in diesem Fall eine entscheidende Rolle. Hat man schöne Kindheitserinnerungen mit den Großeltern, die vielleicht einen bestimmten Einrichtungsstil hatten, dann kann das auch den späteren Stil prägen und Einfluss auf die Wohnwünsche nehmen.
Eklektischer Stil
Beim Eklektizismus handelt es sich um einen bunten Stilmix. Allerdings sind dabei Einrichtungselemente weniger wild zusammengewürfelt, sondern gekonnt und ansprechend miteinander kombiniert. Auch bei diesem Stil sieht Wohnpsychologin Melanie Fritze ein erhöhtes Bedürfnis nach Selbstdarstellung. „Man möchte sich nicht in eine Schublade stecken lassen und alle Facetten zeigen, alles, was einem gefällt, auch nach außen deutlich machen“, so Fritze. Das könne auch das Bedürfnis widerspiegeln, seine Kreativität auszuleben.
Minimalismus
Weniger ist mehr – so lautet das Motto beim Minimalismus. Ordnung, Einfachheit und Schlichtheit stehen im Mittelpunkt. Die Farben sind eher gedeckt, je weniger offen herumsteht, desto besser. „Beim Minimalismus geht es darum, keine Reizüberflutung in den eigenen vier Wänden zu haben. Es besteht ein hohes Bedürfnis an Ruhe und Erholung – insbesondere von der Welt da draußen, in der es viele Reize oder Belastungen gibt“, erklärt Fritze. Außerdem sieht sie ein hohes Bedürfnis nach Übersicht und Ordnung, sowie Sicherheit und Schutz.
Landhausstil
Massive Holzmöbel, helle Farben, schlichtes Design – so lässt sich der Landhausstil am besten beschreiben. Für Wohnpsychologin Fritze spiegelt dieser Einrichtungsstil ein großes Bedürfnis nach Gemeinschaft, Geselligkeit und auch Gemütlichkeit wider. „Kommunikation, Austausch und Interaktion sind hier sicherlich große Themen“, so Fritze. In einer Gemeinschaft, eventuell in der Nachbarschaft, eingebunden zu sein, ist dabei besonders wichtig.
Die entsprechenden Wohnstile und ihre jeweiligen Wohnbedürfnisse laut Wohnpsychologin Melanie Fritze im Überblick:
Wohnstil | Wohnbedürfnis |
Skandinavischer Stil | Bedürfnis nach Erholung und Regeneration, sowie Schutz und Geborgenheit |
Boho-Stil | Bedürfnis nach Aneignung und Selbstentfaltung, Individualität |
Retro-Design | Bedürfnis nach Ästhetik, Wunsch nach Vertrautheit |
Eklektizismus | Bedürfnis nach Selbstdarstellung, Kreativität ausleben, alle Facetten zeigen |
Minimalismus | Bedürfnis nach Ruhe und Erholung, Reizüberflutung minimieren, Bedürfnis nach Übersicht und Ordnung und somit auch nach Sicherheit und Schutz |
Landhausstil | Geselligkeit, Gemütlichkeit und Zugehörigkeit, Wunsch nach Kommunikation |
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Warum Wohnbedürfnisse und Einrichtungsstile nicht immer zusammenpassen
Die Einrichtung spiegelt aus den unterschiedlichsten Gründen nicht immer auch die Persönlichkeit oder den Charakter des Bewohners wider. Sei es aus finanziellen oder zeitlichen Gründen oder aber, weil man mit einem Partner zusammenlebt, der einen anderen Stil favorisiert.
Was man aber unabhängig etwa von finanziellen Aspekten erkennen kann, sind die Wohnbedürfnisse. Legt jemand großen Wert auf seine Privatsphäre und möchte sich in seinen eigenen vier Wänden unbeobachtet fühlen, wird er vermutlich auch keine großen, offenen Fenster haben. Und wenn doch, dann sorgen Vorhänge dafür, dass das Wohnbedürfnis der Privatheit erfüllt wird.
Laut Fritze kommt es vor, dass einem beispielsweise große Fenster gut gefallen und man das viele Tageslicht wertschätzt. Passt es aber nicht zu den eigenen Wohnbedürfnissen, kann es dazu kommen, dass man sich, obwohl einem die Wohnung gefällt, am Ende unwohl fühlt – zumindest unterbewusst.