9. Januar 2021, 15:48 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Im Laufe der Zeit ist der Begriff des Gelsenkirchener Barocks zu einem geflügelten Wort geworden. Gemeint ist hierbei ein Einrichtungsstil, der heute eher mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist.
Was verbindet wohl eine Stadt mitten aus dem Ruhrpott mit einer äußerst prunkvollen Epoche europäischer Kunstgeschichte? Die Antwort gibt die – gewissermaßen nicht ganz ernst gemeinte – Einrichtung im Sinne des Gelsenkirchener Barocks. Ein Stil, der seine Daseinsberechtigung hatte, aber auch sein Ablaufdatum. Doch was versteht man heute unter dem Gelsenkirchener Barock und wie kam er überhaupt zu seinem widersprüchlich klingendem Namen?
Wie der Gelsenkirchener Barock zu seinem Namen kam
Bereits in den sogenannten goldenen 20er Jahren sprach man vom Gelsenkirchener Barock, doch wirklich populär wurde der kuriose Einrichtungsstil erst in den 50er Jahren. Zur damaligen Zeit erlangte die Gesellschaft im Zuge des Wirtschaftswunders allmählich wieder mehr Wohlstand. Auch den Arbeitern im Ruhrgebiet, allen voran in Gelsenkirchen, ging es wirtschaftlich deutlich besser. Entsprechend wollte man den neu erlangten Lebensstandard auch in seiner Art sich einzurichten zum Ausdruck bringen. Zudem hatten die verheerenden (Nach)Kriegsjahre ein großes Bedürfnis nach mehr Gemütlichkeit in den eigenen vier Wänden ausgelöst. Und so kam es, dass man vor allem alte Möbelformen mit ornamentalen Schnörkeleien und kräftigen Maserungen zuhauf in deutschen Wohnzimmern vorfand. Man empfand diese Verspieltheit zur damaligen Zeit als Inbegriff für ein behagliches Zuhause. Einige Designer standen dem Ganzen allerdings schon damals kritisch gegenüber, verurteilten es als kitschig und kreierten stattdessen moderne Möbel mit klarer Formensprache im Sinne des Bauhaus-Stils.
Typische Möbel des Gelsenkirchener Barocks
Insbesondere das Wohnraumbuffet steht exemplarisch für den Gelsenkirchener Barock. Ein wuchtiger, stufenförmig aufgebauter Schrank gepaart mit einer äußerst organisch-geschwungenen Silhouette. Im oberen Bereich des Buffets befand sich in einer Art Vitrine und oftmals hinter zugezogenen Vorhängen das gute Geschirr des Hauses. In den unteren Schränken war großzügiger Stauraum mit zahlreichen Fächern gegeben. Größtenteils wurde für den Buffetschrank dunkles, glänzendes Furnierholz – wie beispielsweise Nussbaum – mit einer stark ausgeprägten Maserung verwendet. Die Fronten und Kanten des Möbels fielen gern detailreich aus und waren meist völlig überladen an Verzierungen. Messinggriffe an den Schubladen und Türen sowie schwungvoll geformte Füße prägten den Buffetschrank ebenfalls. Vieles erinnerte stark an die antike Kunstform des 17. und 18. Jahrhunderts.
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Ebenfalls signifikant war der schwere, aber auch äußerst charismatische Brokat. Ein Stoff, den häufig großflächige Blumenmuster schmückten und der sich in Vorhängen, Kissenbezügen, Decken oder auch Möbelbezügen wiederfand. So manch übermütiger Haushalt verkleidete auch sämtliche Alltagsgegenstände wie einen Telefonhörer mit einem solchen Überzug.
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Einst schick, heute kitschig
Was in den 50er Jahren schon namhafte Designer als überladen und kitschig verschrien, löst auch heute eher Gelächter aus. Massive, übertrieben verzierte Möbel, die sich noch dazu in einem ebenso altbackenen Ambiente befinden, fallen auch heute verächtlich unter dem Begriff des Gelsenkirchener Barocks. Einzig, wenn ein solches Möbel mit modernen Stücken gelungen kombiniert wurde, gilt es als geschmackvoll.