
25. März 2023, 12:39 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nur wenige Jahre dauerte der Jugendstil an, die Kunstgeschichte prägte er dennoch entscheidend. Mit viel reformerischem Geist und noch mehr Ornamentik läutete die Bewegung einen bedeutsamen Wandel in der Architektur- und Kunstszene ein. Bauwerke im Jugendstil gelten heute als wichtiges Kulturgut.
Hierzulande spricht man vom Jugendstil, benannt nach der 1896 in München gegründeten Kulturzeitschrift „Die Jugend“. Inspiriert war jene bedeutsame kunstgeschichtliche Epoche um die Jahrhundertwende herum vor allem durch neue internationale Bestrebungen, die als avantgardistisch und facettenreich galten. Dazu zählten etwa der französisch-belgische „Art Nouveau“, die britische „Art-and-Crafts-Bewegung“ sowie der österreichische „Secessionsstil“. Aus historischer Sicht bringt es die Stilepoche, die von etwa 1890 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 reichte, auf gerade einmal 20 Jahre Blütezeit und doch ist der Jugendstil bis heute bekannt und lebt in zahlreichen Bauwerken und Gebäuden fort.
Der Jugendstil – eine Epoche neuer Kunst
So irreführend der Name des Jugendstils ist, so relevant war er für einen Wandel in der Kunst- und Architekturszene. Mehr noch: Man verstand die neuen Bestrebungen als eine Art Reformstil. Geradezu bewusst brachen Künstler von damals mit Konventionen und lehnten Spießigkeit entschieden ab. Statt sich weiterhin der Nachahmung historischer Stile zu widmen, wollte man sich fortan auf neue moderne, aber vor allem natürliche Motive konzentrieren. Daher sprach man in der Szene viel mehr vom „neuen Stil“ – der Begriff des Jugendstils verfestigte sich hingegen erst im Laufe der Zeit.
Mit expressiven Ornamenten gegen rasante Industrialisierung
Kennzeichnend für den Jugendstil war, dass er ein Objekt stets als Gesamtkunstwerk verstand. Gerade im Bereich der Architektur kam es Künstlern nicht nur auf die Außenwirkung eines Bauwerks an, sondern auch der Innenraum sollte dem Stil der Fassade entsprechen. Mehr noch sollte die Funktion eines Gebäudes über dessen Gestaltung Ausdruck erlangen. Aus diesem Grund trafen praktische Aspekte auf jede Menge verspielte Ornamente.
Weil die Natur gewissermaßen als Muse fungierte, spricht der Jugendstil vor allem eine organische, fließende Sprache mit vielen geschwungenen Linien, Wellen, Ranken und anderen Pflanzen. Die damaligen Künstler sahen dies als Antwort auf die sich rasant entwickelnde Industrialisierung.
Die prägenden Attribute des Jugendstils
Jugendstil-Künstler wollten in ihren reformatorischen Bestrebungen möglichst alles Vorherrschende in Kunst und Architektur umwälzen und neu gestalten. Neue Farben, neue Formen, neue Muster und dabei stets ganz nah an der Natur. Ästhetik traf auf Melancholie, filigrane Linien auf ausladende Schnörkel, Blumen- auf Tiermotive.

Statt strenger Symmetrie und axialer Aufteilungen gaben vielmehr florale Dekore den stilistischen Ton an. Außerdem avancierte der Schwan als Tier mit all seiner Anmut und Grazie zu einem der prägendsten Leitmotive des Jugendstils. Und so kam es, dass eine jene Gestaltung stets mit reichlich Verzierung und Dekoration versehen war.
Genau an diesen markanten Attributen ist der Jugendstil an Fassaden von Bauwerken, in der Innenarchitektur von Wohnhäusern, aber auch im Kunsthandwerk etwa bei Keramiken, Schmuck oder auch Mosaiken bis heute gut erkennbar. In der Kunst sah man häufig Frauen in leuchtend-farbigen Gewändern und mit wallendem Haar, in dem sich detailreicher Blumenschmuck verbarg.
Bekannte Jugendstilkünstler
So kurz wie die Ära des Jugendstils andauerte, so viele bedeutende Künstler brachte sie hervor:
- Henry van de Velde
- Peter Behrens
- Gustav Klimt
- Antonio Gaudí
- Joseph Maria Olbrich
- Otto Wagner
- Louis Comfort Tiffany
- Richard Riemerschmid
- Bernhard Pankok
Berühmte Bauwerke aus der Zeit des Jugendstils
Bis heute sind zahlreiche nationale sowie internationale Bauwerke und Gebäude aus der Zeit des Jugendstils gut erhalten und prägen auf ihre Weise das Bild im urbanen Raum:
- La Sagrada Familia in Barcelona
- Casa Batlló in Barcelona
- Metro Porte Dauphine in Paris
- Die Hackeschen Höfe in Berlin
- Secessionsgebäude in Wien
- Kunstschule in Weimar
- Villa Esche in Chemnitz
- Müllersches Volksbad in München
- Mathildenhöhe in Darmstadt
- Staatstheater in Cottbus
- Augsburger Synagoge
Auf dem Weg zur Versachlichung

Im Jahr 1898 gründete Kurfürst Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt die Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe als weitere Wirkungsstätte des Jugendstils. Der österreichische Architekt und Designer Joseph Maria Olbrich, der zuvor das Secessions-Gebäude in Wien schuf, kam nach Darmstadt und baute im Sommer 1901 ein Kunstatelier und andere Bauwerke für die bevorstehende Kolonieausstellung „Ein Dokument deutscher Kunst“. Auch Architekt und Maler Peter Behrens war bei diesem Projekt beteiligt.
Allmählich fand ein Wandel statt: Von der einstigen Avantgarde-Kunst nahm der Jugendstil immer bürgerlichere Züge an, wofür die Ausstellung weltweit nicht nur für Aufsehen sorgte, sondern ebenso stark kritisiert wurde. Schon bald konzentrierten sich einige Künstler auf mehr Nüchternheit in ihrer Formensprache. Statt der typischen Schnörkel ließ sich fortan eine Versachlichung in ihren Werken beobachten. Es drohte eine Spaltung, da sich Künstler wie etwa Peter Behrens oder auch Richard Riemerschmid immer mehr für serielle Fertigung interessierten, welche jedoch dem Kerngedanken des Jugendstils deutlich widersprach.
Auch interessant: Wie die Meister der Renaissance die heutige Architektur beeinflussten

Porträt Warum die Architektur von Antoní Gaudi so zeitlos ist

Baukultur in Deutschland Warum beim Bau mancher Gebäude Geld für Kunst ausgegeben wird

Im Porträt Friedensreich Hundertwasser – warum es bei seiner Architektur keine geraden Linien gibt
Das Ende des Jugendstils
Im Jahr 1906 kam es zur Dritten Deutschen Kunstgewerbeausstellung in Dresden, an der sich zahlreiche Vertreter des Jugendstils beteiligten. Infolgedessen wird 1907 der Deutsche Werkbund unter dem Vorsitz des Architekten, Designaktivisten und Schriftstellers Hermann Muthesius gegründet, der für eine neue Ausrichtung des Stils eine Zuwendung zu mehr Sachlichkeit und Schlichtheit proklamiert. Von nun an sollten sich Kunst, Handwerk und Industrie mehr miteinander verbinden.
Damit entwickelte sich der Jugendstil gewissermaßen zum Vorboten der Neuen Sachlichkeit der 1920er-Jahre. Doch zuvor kam es 1914 noch zum sogenannten Werkbundstreit zwischen Hermann Muthesius und Henry van de Velde. Letzterer befürwortete die Stilentwicklung des Kunsthandwerks, die frei von industriellen Interessen ist. Es sollte allerdings anders kommen: Die Serienproduktion wurde zum elementaren Bestandteil der Kunst und der Jugendstil erlebte damit schon bald sein jähes Ende. Erst weit nach dem Zweiten Weltkrieg fand er wieder mehr Anerkennung und Wertschätzung.