22. Mai 2023, 5:31 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Im Sinne der Klimarettung sollten moderne Einrichtungen nicht mehr länger nur aus neuen Möbeln bestehen, findet myHOMEBOOK-Autorin und Interior Designerin Odett Schumann. In der Branche findet aktuell ein Umdenken statt. Recycelte Möbel, die aus Elektroschrott oder Lebensmittelresten bestehen, erobern jetzt den Markt.
Die ernste Lage rund um die Klimakrise zwingt uns in vielen Lebensbereichen zum Umdenken. Hinzu kommt das nicht minder besorgniserregende Lieferkettenproblem. Um beide Krisenherde und die damit verbundene Materialknappheit schnellstmöglich in den Griff zu bekommen, braucht es sofortige innovative Lösungen. Innerhalb der Einrichtungsbranche zeichnen sich hier bereits erste Tendenzen ab, die ganz in Richtung Nachhaltigkeit gehen. Die Rede ist von recycelten Möbeln: Ob aus Lebensmittelresten oder Elektroschrott – das Potenzial an neuen, umweltfreundlichen Ideen scheint enorm.
Möbel aus Elektroschrott
Je mehr die Digitalisierung voranschreitet und Einzug in unser aller Leben hält, desto größer ist auch unser Verbrauch an elektronischen Geräten. Entsprechend sammelt sich von Jahr zu Jahr auch immer mehr Elektroschrott an. Im Jahr 2020 kamen in Deutschland immerhin mehr als eine Million Tonnen Müll diesbezüglich zusammen – im Vergleich zum Vorjahr bedeutete dies einen Anstieg von 9 Prozent.
Hierbei sind nicht nur die enormen Mengen an Elektroschrott problematisch, sondern auch deren umweltbelastende Entsorgung. Um dieser komplexen Problematik entgegenzuwirken, kommt es darauf an, möglichst viele Einzelteile eines Geräts wiederzuverwerten. So gibt es Hersteller, die sich in Bezug auf recycelte Möbel auf Glas spezialisieren, welches sich in Backöfen oder in Mikrowellen befindet. In Kombination mit weiteren Resten entstehen so recycelte Glasfliesen. Das Unternehmen „Pentatonic“ entwickelte wiederum den recycelten Stuhl „Airtool“, der aus verschiedenen Bestandteilen eines Smartphones und Plastikflaschen besteht.
Vom Nebenprodukt zum recycelten Möbel
In Zusammenhang mit recycelten Möbeln wird auch Nebenprodukten, die für gewöhnlich als Abfälle gelten, immer mehr Aufmerksamkeit zuteil. So lassen sich etwa beim Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln wie Ananas, Reis, Kakao, aber auch bei Flachs tonnenweise wertvolle Abfallprodukte gewinnen. Letzterer wird aktuell bereits zum Textil weiterverarbeitet und aufgrund seiner schmutzabweisenden, feuchtigkeitsresistenten Wirkung als Bezugsstoff bei Outdoormöbeln eingesetzt.
Aus Ananasblättern wiederum lässt sich ein lederähnliches Material namens „Piñatex“ erzeugen. Auch dieses überzeugt mit seinen besonderen Eigenschaften der Strapazierfähigkeit und Wasserfestigkeit. Bei der Ernte von Reis fallen hingegen Reishülsen als Nebenprodukt ab, aus denen ein Holzersatzstoff entwickelt wurde. In seiner Qualität kann dieses Material durchaus mit gängigen Tropenhölzern konkurrieren und künftig etwa als recyceltes Möbel zum Einsatz kommen. Aktuell noch in der Forschung befindet sich das Vorhaben, aus den Schoten von Kakaoschalen einen neuartigen Bio-Kunststoff herzustellen, der entweder gummiartig oder fest in seiner Substanz ist.
Auf Hanf setzen
Neben Flachs und Baumwolle gilt Hanf mit als eine der ältesten Nutzpflanzen. Schon seit einigen Jahren kommt der wertvolle Rohstoff erfolgreich als Wohntextil zum Einsatz. Jetzt mischt Hanf den Einrichtungsmarkt auch als nachhaltiges Möbelstück neu auf. Dies macht insofern reichlich Sinn, weil Hanf – im Vergleich zur Baumwolle – sehr viel anspruchsloser im Anbau ist.
Das Naturmaterial wächst schnell, benötigt dabei bedeutend weniger Wassermengen, ist kälteunempfindlich sowie resistent gegenüber Schädlingen und Pilzen. Später dann, wenn das Naturmaterial zum Produkt verarbeitet ist, überzeugt es auch durch seine hohe Reißfestigkeit. Außerdem ist Hanf antistatisch, verfügt über eine wärmeregulierende Funktion und eignet sich gut für Allergiker. Und so wird Hanf heute nicht mehr nur bei Küchentüchern oder Bettwäsche eingesetzt, sondern kommt auch in Teppichen, Matratzen und Polsterbezügen vor.
Aber auch als moderner Baustoff macht der Rohstoff immer mehr von sich reden. In Form von Hanfbeton, der komplett recycelbar ist, entstehen seit einiger Zeit erste Designs für Vasen, Schalen als auch andere Gefäße. Und als Verbundstoff, und zwar in Kombination mit einem natürlichen Harz, sind außerdem bereits Stühle aus Hanf als recyceltes Möbel auf dem Markt erschienen.
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Aus Lebensmittelresten nachhaltige Möbel gewinnen
In Lebensmittelresten kann noch Innovation stecken. Momentan wird das enorm nachhaltige Potenzial von Abfällen allerdings meist noch verkannt und Kompost entsprechend noch zu wenig wiederverwertet. Doch genau dieser Recyclingansatz könnte für die Einrichtungsbranche zukunftsträchtig sein.
Wahre Pionierarbeit leisten hier aktuell neue Möbelkreationen, die unter anderem aus Kompostabfällen bestehen. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um Lampenschirme aus Orangenschalen und Kaffeesatz. Das Gute daran: Es braucht hierfür keinerlei neue Rohstoffe und das scheinbar „neue“ Produkt ist zudem wieder vollständig biologisch abbaubar. Im österreichischen Tulln wird derzeit ein neues umweltfreundliches Holzbindemittel aus Zuckerrübenresten entwickelt. Denn noch immer werden viele Holzmöbel aus Spanplatten produziert, die Klebstoffe mit Formaldehyd enthalten.