5. November 2023, 12:10 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Elegant, modern, zeitlos – doch alles andere als wohnlich: Das USM Haller Sideboard fand man lange Zeit nur als Teil biederer Büroausstattungen vor. Jetzt ist dem Schweizer Design-Klassiker schließlich der Spagat zur gemütlichen Wohneinrichtung geglückt. myHOMEBOOK-Autorin und Interior Designerin Odett Schumann erklärt die Geschichte hinter dem ikonischen Sideboard.
Wer dieser Tage aufmerksam durch Social Media scrollt, wird schnell feststellen, dass vor allem bei modebewussten Influencer-Profilen ein Möbelstück mal mehr, mal weniger prominent inszeniert wird. Das einstige Büromöbel des Schweizer Unternehmens USM Haller ist mittlerweile ein angesagtes Sideboard für Kleidung, Schuhe und anderen Alltagsbedarf. Viel zu schade für Unterlagen und Utensilien aus dem Office, finden die einen. Andere wiederum hadern mit dem enormen Preis. Eins steht allerdings fest: Den Geschmack der Zeit trifft das Statement Piece in jedem Fall. Doch warum erntet das Möbelstück mit dem markanten Kugelgelenk jetzt erst Applaus?
Angekommen in der Popkultur
Eine stolze vierstellige Summe wird fällig, möchte man sein Zuhause mit einem USM Haller Sideboard schmücken. Nicht gerade wenig für ein einzelnes Möbelstück – doch der momentane Erfolgskurs scheint nicht abzureißen. Auch das fast schon schlichte Design des Möbelsystems aus verchromten Metallröhren, das lediglich durch farbige Tablare aufgewertet wird, galt lange Zeit alles andere als geschmackvoll. Zumindest für private Räumlichkeiten.
In Büroeinrichtungen der frühen 70er-Jahre sah das schon anders aus und hielt so auch viele Jahrzehnte lang an. Mittlerweile gehört ein USM Haller Sideboard in jeder angesagten Agentur oder eben hippen Altbauwohnung zum guten visuellen Ton. Mit der freien Wahl bezüglich Design und Farbe entspricht es dem aktuellen, vor Individualität strotzenden Zeitgeist.
Sein ikonisches Kugelgelenk macht den entscheidenden Unterschied zu anderen Möbelsystemen. Heute zählt das Sideboard, das so eindrucksvoll die Popkultur prägt, bereits 60 Jahre und gilt als einer der bedeutsamsten Klassiker der Schweizer wie auch internationalen Designgeschichte.
Von der Schlosserei zur Sammlung
Dass sich heute überhaupt ein USM Möbel in Einrichtungen befindet, war so nicht zu erwarten. Seiner Geschichte nach war das Unternehmen, das 1885 im Schweizerischen Münsingen von Ulrich Schärer gegründet wurde (daher der Name USM), zunächst eine Eisenwarenhandlung und Schlosserei.
Knapp 80 Jahre später kam es erst zur eigentlichen Entstehung, als der Urenkel Schärers, Paul Schärer, gemeinsam mit dem Architekten Fritz Haller im Jahr 1963 an einer praktischen Regallösung feilte – allerdings für firmeninterne Zwecke. Es sollte ein System sein, das im Laufe der Zeit und mit Zunahme der Unterlagen gewissermaßen mitwächst. Doch das modulare Möbelsystem wurde so brillant, dass es 1969 in Serienproduktion ging und schnell zum Verkaufsschlager avancierte.
Der internationale Erfolg ließ nicht lang auf sich warten, sodass mit der Zeit Showrooms rund um den Globus – von Paris bis Tokio – eröffneten. Schließlich folgte mit der Aufnahme der USM Haller Möbel in die Sammlung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York ein weiterer Meilenstein.
Ein Möbel ohne wohnlichen Charakter?
Auch wenn es einige Zeit gebraucht hat, so ist es doch erstaunlich, dass das Sideboard von USM Haller mittlerweile Teil zahlreicher Einrichtungen ist. Eigentlich schreit alles an jenem Möbelstück nach Arbeit – also all dem, von dem man möglichst wenig in seinen privaten Räumlichkeiten haben möchte. Der nüchterne, nur wenig wohnliche Charakter der Stahlrahmenkonstruktion mag so gar nicht in ein gemütliches Ambiente passen. Dachte man zumindest bis vor einer Weile.
Doch mit dem Homeoffice, das während der Pandemie in unser aller vier Wände einzog, tat es auch die Büromöblierung. Allen voran das USM Haller Sideboard. Sein Trumpf? Ein ausgesprochen minimalistisches Design, dem mithilfe einer Auswahl an 14 verschiedenen Farben die nötige Portion Individualität verliehen wird.
Nur an Details wimmelt es beim berühmten Sideboard nicht gerade. Kein Problem, für reichlich Aufsehen sorgt ohnehin die raffinierte Kugelverbindung, die gerade einmal 2,5 cm misst und die verchromten Metallrohre und pulverbeschichteten Platten perfekt zusammenhält.
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Umzugsfreundlich: Das USM Haller Sideboard
Was also spricht für den Einzug des USM Haller Sideboards in den modernen Wohnraum? Eine ganze Menge, denn gewissermaßen trifft es allein mit seinem klaren Aufbau den Nerv der Zeit. Alle Möbel des Systems basieren auf einer simplen Konstruktion, die nur wenige, dafür jedoch sehr hochwertige Materialien bedarf.
Dank Modulbauweise erweisen sich sämtliche Regale, High- und Sideboards als ausgesprochen flexibel in ihrer Montage, weshalb sie jederzeit umbau- als auch erweiterungsfähig sind. Ein Fakt, der zum aktuellen Zeitgeist vor allem jüngerer Generationen passt, die vergleichsweise häufig ihren Wohnort wechseln.
Dieses Hand-in-Hand-Prinzip zwischen minimalistischem Design und funktionsorientierter Einrichtung schlägt somit eine Brücke zur Grundidee des Bauhaus-Stils. Und so finden sich die gängigsten Konfigurationen von USM Haller derzeit nicht nur in Arztpraxen, Banken, Büros und Hotels wider, sondern eben auch als Aufbewahrungslösung im schicken Altbau.