13. Oktober 2024, 12:49 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Das Umgebindehaus ist ein Architekturtyp, der vor allem in der Oberlausitz vorkommt. Über die Region hinaus ist das historische Gebäude jedoch kaum bekannt, dabei ist es eine gemütliche, nachhaltige Lösung, zu wohnen.
Zugegeben, ein Umgebindehaus mit seiner fachwerkhausähnlichen Architektur punktet nicht unbedingt mit einer zeitgemäßen Optik, aber gerade, was seine ökologische Bilanz betrifft, kann diese ungewöhnliche Bauart heutzutage durchaus überzeugen. myHOMEBOOK erklärt, was es genau mit diesem urigen Haustyp auf sich hat und warum es immer mehr ins Interessenfeld von Haussuchenden fällt.
Die Geschichte des Umgebindehauses
So ursprünglich wie die Umgebindehäuser aussehen, sind sie es auch. Ihre Geschichte reicht weit zurück: Damals hatten die Slawen eine besondere Bauweise, die sogenannte Blockstube, entwickelt. Später dann im 13. Jahrhundert kamen deutsche Siedler in die Region, die das Wissen über das Fachwerk mitbrachten. Diese Art zu bauen galt als stabil, holzsparend und sogar das Errichten mehrstöckiger Gebäude war möglich. Allerdings war es gar nicht so leicht diese beiden Bauweisen miteinander zu kombinieren, da die Holzverbindungen des Fachwerks nicht mit dem Faserverlauf des Holzes in Steinmauern kompatibel sind. Und so „tüftelten“ Handwerker über Jahrhunderte hinweg am Umgebinde als eigene Bauweise. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts kam es schließlich zur Entstehung des namensgebenden Umgebindebogens jener Häuser.
Bis heute findet man die traditionellen Umgebindehäuser mit ihrem besonderen architektonischen Stil aus Fachwerk und massivem Steinbau vorrangig in ländlichen Regionen Mitteleuropas, insbesondere im Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien.
Charakteristische Merkmale
Sofort ins Auge sticht ganz klar die ungewöhnliche Architektur und Optik des Umgebindehauses. Es setzt sich aus einer Fachwerkkonstruktion mit den typischen Holzbalken und -stützen zusammen, die über ein geometrisches Muster miteinander verbunden sind und so die Fassade des Gebäudes ausmachen. Einen anderen großen Teil des Umgebindehauses macht dessen massiver Steinbau aus. Dieser besteht nicht selten aus Sandstein oder anderen regionalen Gesteinen. Die Steinmauern kommen als Tragwerk zum Einsatz und sorgen für die Stabilität und Wärmeisolierung des Hauses.
Doch warum heißt es eigentlich Umgebindehaus? Die Bezeichnung „Umgebinde“ ist auf die besondere Bauweise eines solchen Gebäudes zurückzuführen, bei dem das Fachwerk das massive Mauerwerk umschließt. Bei der Fassade eines Umgebindehauses gibt es regionale Unterschiede. Mal ist sie sehr detailreich und voller Verzierungen angelegt, bei anderen Häusern wiederum fallen die künstlerischen Aspekte eher verhaltener aus. Das liegt daran, dass die Gestaltungen und Stilrichtungen in den verschiedenen Gegenden variieren können.
Ebenfalls charakteristisch für ein Umgebindehaus sind Holzverschläge, Verschieferungen sowie Türstöcke aus Sandstein oder Granit. Nicht selten findet sich in letzteren die Jahreszahl von der Erbauung des Hauses. An einigen Gebäuden sieht man Sonnen, in Form von strahlenförmigen Holzverschlägen, oder auch Sonnenuhren am Giebel.
Die Blockstube ist das Herzstück
Typisch für ein Umgebindehaus ist vor allem auch dessen Blockstube im Erdgeschoss. Diese bildet gewissermaßen das Herzstück des Gebäudes und wird vom auf Ständern stehenden Umgebinde, also einer Holzkonstruktion mit Verstrebungen, umschlossen. Die Blockstube ist dabei zumeist aus unbehandelten oder nur mit Leinöl eingelassenen Balken oder Bohlen gemacht und trägt alles Darüberliegende. Manchmal ist dies lediglich das Dach, es können aber bei komplex konstruierten Gebäuden auch mehrere Stockwerke sein. Ausgelöst durch Witterung kann sich die Blockstube stark verformen, doch dem würden die Ausfachungen von Fachwerk oder auch die Dachkonstruktion nicht standhalten. Hier kommt das Umgebinde zum Einsatz, denn es trägt alle Aufbauten stabil und die Blockstube kann dabei dennoch in Bewegung sein.
Die Blockstube im Umgebindehaus bringt einen entscheidenden Vorteil mit sich: die dicken, massiven Holzwände dieses Bereichs können Temperaturen gut regulieren. Das Holz speichert gerade im Winter Wärme sehr gut. Nicht selten war die Blockstube früher der einzige beheizte Raum im ganzen Gebäude. Natürlich hat dies auch im Sommer seine Vorzüge, da sich das Holz während der eher trockenen Jahreszeit tendenziell eher zusammenzieht, wodurch die Luft zwischen feinen Ritzen besser zirkulieren kann. Außerdem verfügt die Blockstube nur über kleine Fenster, welche dank ihrer Dreischeibenkonstruktion den Wärmeverlust zusätzlich gering halten.
Aus welchem Material besteht ein Umgebindehaus?
Klassisch kam beim Bau eines Umgebindehauses sehr viel Holz zum Einsatz. Was insofern ideal war, weil sich die meisten Umgebindehäuser in der Oberlausitz befinden, einem tendenziell hochwassergefährdeten Gebiet. Nicht selten kam es also in der Vergangenheit schon vor, dass die Häuser überflutet wurden. Kein Problem für Holz, solange es nach dem Abfließen des Wassers wieder gut trocknen kann.
Daneben gab es gerade im Erdgeschoss auch Stampflehm und Stein als Bodenbelag, insbesondere im Eingangsbereich. Nach traditioneller Bauweise wurde das Dach mit Biberschwanzziegeln oder Stroh gedeckt. War das Gebäude verhältnismäßig groß, gab es auch schon mal eine zweite Blockstube oder einen gemauerten Wirtschaftsbereich. Insgesamt wurden überwiegend heimische Naturmaterialien wie etwa Fichten-, Tannen- oder Kiefernholz aus der Region verbaut. Für Anstriche nutzte man Leinölfarben, für Räume meist Lehmputz – beides sorgt bis heute für ein gesundes Raumklima.
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Wie steht es heute um das historische Gebäude?
Noch immer gibt es die historischen Gebäude in der südlichen Oberlausitz sowie den angrenzenden schlesischen und nordböhmischen Gebieten. Ein paar Exemplare befinden sich sogar in Westsachsen und Thüringen. Im Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien befinden sich schätzungsweise noch rund 20.000 Gebäude, davon allein 6.000 in der Oberlausitz. Gerade Häuser, welche auf deutscher Seite sind, stehen zudem unter Denkmalschutz. Dennoch dürfen notwendige Reparaturarbeiten, Anpassungen an heutige Wohnvorschriften oder die den Wohnkomfort verbessern, durchgeführt werden. Hier droht keinerlei Ärger mit der Denkmalschutzbehörde. Im Gegenteil: Das Beseitigen von Bausünden wird gern gesehen und sogar gefördert.
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Trend Umgebindehaus?
Aktuell geht in der Oberlausitz für viele, vor allem junge Eigentumssuchende, eine regelrechte Faszination von Umgebindehäusern aus. Gerade nach der Wende sind viele Menschen aus der Region weggezogen, doch mittlerweile kehren immer mehr wieder in die alte Heimat zurück und sind auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Da scheint ihnen das historische, architektonisch bemerkenswerte Gebäude, das irgendwo zwischen Fachwerk und Blockhaus einzuordnen ist, äußerst passend. Und auch der Zeitpunkt könnte optimaler nicht sein, denn voraussichtlich werden in den kommenden Jahren viele Umgebindehäuser zum Verkauf stehen. Der Grund: Aktuell werden die allermeisten Gebäude noch von älteren, oftmals alleinstehenden Menschen bewohnt.
Warum diese plötzliche Begeisterung für die kleinen, urigen Umgebindehäuser auf dem Land? Die Gründe dafür sind vielfältig. Vor allem aber sind es die Mieten und Kaufpreise im Osten der Republik, die ebenfalls mit den Jahren immer mehr angestiegen sind. Außerdem ist mit der Thematisierung der Klimakrise auch der Wunsch nach umweltfreundlichem Wohnen gestiegen. Ein Umgebindehaus, das aus ökologischen Baustoffen besteht, bildet hierfür eine geeignete Wahl. Noch dazu überzeugt das Gebäude mit seiner traditionellen Architektur auch mit einer originellen Optik und hebt sich damit durchweg von anderen Häusern im eher klassischen Baustil ab.
Und ein letzter Grund könnte auch hier die Corona-Pandemie sein. Seit jener Zeit ist das Bedürfnis nach einem gemütlichen, gern auch zurückgezogenen Zuhause – im Idealfall mit eigenem Garten – gewachsen. Das Stadtleben mit all seinem Lärm, Staub und der Hektik scheint oftmals nur noch wenig attraktiv zu sein. Umgebindehäuser lassen sich zudem gut modernisieren und beweisen so, dass ein zeitgemäßer Wohn- und Lebensstil und ein altes Gebäude sich nicht gegenseitig ausschließen müssen.