20. Oktober 2024, 16:34 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Zweifelsohne nimmt der Wassily Chair von Marcel Breuer unter den Möbelklassikern eine besondere Position ein. Nicht nur die ikonische Form, sondern vor allem auch Machart und Material waren bemerkenswert. Bis heute hält diese Euphorie an, denn gerade sieht man den scheinbar unbequemen Sessel wieder vermehrt in Einrichtungen.
Auf den ersten Blick sieht der Wassily Chair von Marcel Breuer alles andere als bequem aus. Ohnehin kommt die Form ausgesprochen eigenwillig daher. Und doch konnte das Sitzmöbel mit seinen Qualitäten überzeugen und avancierte so im Laufe der Zeit zum Möbelklassiker. Man könnte sogar sagen, dass der ikonische Sessel in puncto Machart und Material Designgeschichte geschrieben und für eine Revolution auf dem Möbelmarkt gesorgt hat.
Die Geschichte zum Design
Es heißt, Marcel Breuer, seines Zeichens ungarisch-amerikanischer Architekt und Designer, habe sich als passionierter Radfahrer beim Entwurf seines berühmten Stuhls von einem einfachen Fahrradlenker inspirieren lassen. Vielmehr war es das gebogene Stahlrohr, das ihn so faszinierte und auf die Idee brachte, das Metall auch im Möbelbau einzusetzen. Immerhin konnte das Material gebogen werden und war gleichzeitig noch stabil wie auch leicht.
Welch eine Revolution! Mit dem Wassily Chair bewies Breuer im Jahr 1925, dass sich all diese Eigenschaften auch in einem Möbelstück vereinen lassen. Was entstand, war der allererste Stahlrohrstuhl überhaupt. Setzte man doch bis dato in den 1920er-Jahren innerhalb der Designszene auf eine Kombination aus schwerem Holz mit dicken Polstern. Jetzt traf klare Form auf kühlen Stahl und war damit auf das absolut Wesentliche reduziert. Eben ganz im Stil des berühmten Bauhausdesigns.
Wie der Wassily Chair zu seinem Namen kam
Der Wassily Chair hatte seinen Namen nicht von Anfang an. Breuer hatte dem Möbelklassiker einst den Namen Clubsessel B3 gegeben. Doch tatsächlich war kein Geringerer als Wassily Kandinsky der Grund für die spätere Umbenennung. Auch der russische Maler war zur Entstehungszeit des Möbels am berühmten Bauhaus tätig. Marcel Breuer leitete im Jahr 1925 mit gerade einmal 23 Jahren die Tischlerei der Schule und hatte im gleichen Jahr den Stahlrohrsessel entworfen. Kandinsky zeigte sich vom innovativen Design des Stuhls derart begeistert, dass er noch vor Beginn der Serienproduktion ein eigens für ihn gefertigtes Exemplar für seine Wohnung in den Dessauer Meisterhäusern von Breuer erhielt.
Zu diesem Zeitpunkt hieß das Sitzmöbel noch Clubsessel B3 und wurde unter diesem Namen auch ab den späten 1920er-Jahren von Thonet industriell hergestellt und vertrieben. Später, im Jahr 1962, erwarb dann das italienische Unternehmen Gavina die Lizenzen für die Produktion des Möbelklassikers, doch der Verkauf lief nur schleppend. Also benannte man den Sessel aus Marketinggründen kurzerhand in Wassily Chair um. Auch der US-amerikanische Möbelhersteller Knoll International, der 1968 Gavina aufkaufte, behielt den Namen bei. Bis heute wird der Wassily Chair von dem renommierten Möbelhersteller noch genauso produziert und verkauft.
Ein unbequemer Möbelklassiker?
Zwar mag der Wassily Chair auf den ersten Blick nicht sonderlich bequem erscheinen und eher an eine maschinenähnliche Konstruktion fürs Büro als an ein gemütliches Möbelstück für zu Hause erinnern, doch dies ist ein Trugschluss. Designer Marcel Breuer hatte seinen berühmten Stahlrohrsessel tatsächlich so konstruiert, dass spätestens beim Setzen bemerkbar wird, für welchen Komfort er steht. Die leicht federnde Sitzfläche macht den Stuhl erstaunlich bequem. Wer den Kontakt mit dem kalten Stahlrohr scheut, kann auch hier unbesorgt sein: Breuer ordnete die einzelnen Lehnen so geschickt an, dass es zu keinerlei Berührung zwischen Haut und Metall kommt.
Breuer öffnete eine neue Ära der Designgeschichte
Als Basis des Stuhls dient vernickeltes, gebogenes Stahlrohr. Für die Sitzfläche, Arm- und Rückenlehne des Wassily Chairs wurden breite Streifen aus Rindkernleder, Stoff oder Leinwand über das quadratische Gestell gespannt und mit dem zur damaligen Zeit noch eher unbekannten Eisengarn, einem besonders reißfesten, strapazierfähigen Baumwollgarn, fest vernäht. Alle Details der gesamten Konstruktion sind damit auf den ersten Blick gut erkennbar. Eine solch radikal offene Zurschaustellung der Statik ist selbst für die aufs Wesentliche reduzierten Bauhaus-Möbel ungewöhnlich. Lediglich die Kunststoffgleiter unter den Kufen sind nicht direkt ersichtlich.
Auch interessant: Der Barcelona Chair und seine royale Geschichte
Am bekanntesten ist wohl noch immer die Ausführung mit schwarzem Rindsleder. Es gibt aber auch Modelle mit weißem Leder sowie mit Leinenstoff. Zum 100-jährigen Bauhaus-Jubiläum im Jahr 2019 wurde der Möbelklassiker neu aufgelegt. Seitdem ist er mit verchromtem statt vernickeltem Stahlrohr und in noch mehr Lederausführungen erhältlich.
In jedem Fall eröffnete Breuers konstruktivistischer Entwurf eine vollkommen neue Ära der Designgeschichte, die vergleichbar war mit der Einführung des Bugholzverfahrens im 19. Jahrhundert. Stahlrohr war ein Material, das sich ideal maschinell verarbeiten ließ und in Serienproduktion gehen konnte. Breuer etablierte eine neue Form der Ästhetik, indem er diese mit Funktionalität verband. Mit der Leichtigkeit und dem kühlen Glanz des Materials wurde ein besonderer Zeitgeist geprägt. Die Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 bereitete dem Bauhaus und damit auch der Herstellung von Stahlrohrmöbeln jedoch ein abruptes Ende.
Anders als vom Designer selbst erwartet, wurde der Wassily Chair gerade aufgrund seiner eigenwilligen Formensprache und der reduzierten Ästhetik ein durchschlagender Erfolg. Bis heute geht von ihm eine Magnetwirkung aus, er gilt als besonderer Blickfang im Raum.
Von Erfolg bis Ernüchterung Der Butterfly Chair und seine ungewöhnliche Geschichte
Interior Designerin erklärt 6 Möbelklassiker, mit denen ein Zuhause stets geschmackvoll eingerichtet ist
Billy, Tulip Chair, 214 Berühmte Möbel und ihre Geschichte
Woran erkennt man einen echten Wassily Chair?
Für gewöhnlich gibt es von berühmten Möbelklassikern auch zahlreiche Repliken auf dem Markt – so auch vom Wassily Chair. Wer jedoch gern ein Original besitzen möchte, sollte beim Kauf auf ein bestimmtes Detail achten. So ist ein echtes Modell leicht an seiner Prägung erkennbar. Auf der rechten Seite des Fußes findet sich der Schriftzug von Knoll sowie die Signatur von Marcel Breuer. Bei älteren Modellen, die noch aus der Zeit von Gavina stammen, sitzt die geprägte Unterschrift im Leder des Sitzmöbels.
Und auch die Verschlusskappen des Stahlrohrs dienen als weiterer Anhaltspunkt, um einen echten Wassily Chair zu entlarven. Während das Original an dieser Stelle mit Metall ausgestattet ist, haben die Repliken meist Kappen aus Kunststoff.