20. März 2022, 13:05 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die einen lieben ihn, die anderen möchten nicht einmal kurzzeitig dort wohnen: Beim Plattenbau gehen die Meinungen weit auseinander. Bis heute ist die Abneigung gegen diese Bauform verbreitet, Plattenbausiedlungen gelten oftmals als soziale Brennpunkte. Stimmt das, oder ist die „Platte“ vielleicht sogar eine Möglichkeit, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen?
In der DDR einst als komfortable Lösung gegen Wohnungsnot begehrt, fand „die Platte“ im Westen kaum Freunde. Spätestens seit der Wendezeit steht der Begriff meist Pate für sozialistische Einheitsbauten. Wer an Plattenbausiedlungen denkt, hat oft ein bestimmtes Bild vor Augen: triste Hochhausghettos mit wenig Grün und noch weniger Platz für Individualität. Dass die Realität auch anders aussehen kann, wissen meist nur die Bewohner solcher Siedlungen.
Plattenbau – was ist das eigentlich?
Nicht nur Hochhäuser sind als „Platte“ konzipiert. Ursprünglich bezeichnete der Begriff ein Bauverfahren, bei dem Wohn- und Bürohäuser aus industriell vorgefertigten Betonplatten errichtet werden. Die in Fabriken gefertigten Bauteile müssen später auf der Baustelle nur noch zusammengefügt werden.
Modulares Bauen lautet der Fachbegriff für diese Gebäudeart, die Bezeichnung Plattenbau jedoch hat sich umgangssprachlich durchgesetzt. Inzwischen steht sie jedoch nicht nur für die Bauweise, sondern vor allem für den Häusertyp und die oft daraus errichten, sogenannten Großsiedlungen. Im Grunde jedoch ist der Plattenbau lediglich ein in Massivbauweise errichtetes Gebäude, bei dem Wände und Decken im Gegensatz zum Skelettbau tragende Funktion haben.
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Plattenbauten als beliebte Neubauform in der DDR
Die ersten Häuser dieser Art wurden Anfang des 20. Jahrhunderts in New York errichtet. In Deutschland entstanden die ersten Plattenbauten kurz darauf in Frankfurt am Main. In Berlin Friedrichsfelde wurde 1926 die erste Siedlung mit 138 Wohnungen in Plattenbauweise errichtet. Ab den 1950er-Jahren entstanden immer mehr Großsiedlungen, deren Gebäude mit vorgefertigten Modulen errichtet wurden.
Besondere Verbreitung fanden sie in der DDR. Dort war es für den Staat günstiger, in Zeiten großer Wohnungsnot Häuser in Systembauweise zu errichten statt individueller Einfamilienhäuser oder bestehende Altbauten aufwendig zu sanieren. Der Plattenbau wurde so zu einer Neubauform, aus der nicht nur einzelne Bezirke, sondern ganze Städte wie etwa Halle-Neustadt errichtet wurden. Die Wohnungen waren begehrt, da sie über moderne Wasser- und Heizsysteme, Toiletten in der Wohnung und oftmals sogar Badewannen verfügten.
In der alten Bundesrepublik wurde der Begriff Plattenbau unterdessen meist als Synonym für Groß- oder Hochhaussiedlungen verwendet. Zu deren bekanntesten gehören heute die Hochhäuser in München-Neuperlach, Köln-Chorweiler und Berlin-Gropiusstadt.
Sozialer Wohnungsbau und sozialer Brennpunkt
Einige dieser Siedlungen wie etwa Gropiusstadt entstanden als Projekte für den sozialen Wohnungsbau. Andere, wie Neuperlach und das Wohngebiet Nürnberg-Langwasser, sollten neue, moderne Zentren werden, die wohnen, arbeiten und Freizeit vereinen. Nicht immer entwickelte sich der Alltag in den Neubaugebieten jedoch wie gewünscht. Chorweiler und Gropiusstadt etwa gelten heute als soziale Brennpunkte mit hoher Arbeitslosenquote. Zu weit weg von Innenstädten verloren die als Trabantenstädte errichteten Siedlungen an Attraktivität. Viele Wohnungen standen bereits kurz nach Errichtung wieder leer, die Siedlungen verfielen. Nur günstige Mieten lockten noch Menschen an. Wohlhabendere Bewohner blieben fern. Was folgte, war eine Art Gettoisierung und Stigmatisierung all jener, die in den Siedlungen leben.
Ist der Plattenbau so schlecht wie sein Ruf?
Hat die Platte – ganz gleich, ob sie im Osten oder Westen des Landes steht – daher einen eher schlechten Ruf? Wer sich umhört und mit dem Thema Platte befasst, wird schnell merken: So schlimm wie ihr Image sind die Siedlungen oft nicht. In Internetforen etwa berichten Bewohner, gerne in ihrer Platte zu wohnen – zumindest, wenn sie nicht in einem sogenannten sozialen Brennpunkt steht. Sie schätzen die massive Bauweise der Häuser, die mitunter lediglich vier bis sechs Stockwerke umfassen. Andere berichten von grüner Umgebung, denn Plattenbausiedlungen stehen oftmals an Stadträndern, von netter Nachbarschaft und vergleichsweise günstigen Mieten.
„Dort will doch niemand freiwillig wohnen“, heißt es dagegen in anderen Beiträgen. Es lebten dort außerdem zu viele Menschen zu eng aufeinander. Doch gerade dieses Argument – Wohnraum für zahlreiche Menschen auf relativ kleinem Gebiet – hat die Platte in jüngster Zeit wieder ins Gespräch gebracht. Zwar nicht unter der Bezeichnung Plattenbau, sondern unter dem Begriff „serielles Bauen“. Doch auch hinter dieser Bezeichnung steht die industrielle Fertigung von Gebäudeteilen, die dann auf der Baustelle zu Häusern montiert werden. Das soll vor allem Baukosten und Bauzeit senken. Zudem gilt der Plattenbau als einfache Möglichkeit, rasch größere Mehrfamilienhäuser und Siedlungen mit Einfamilienunterkünften zu errichten.
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Der „neue Plattenbau“ muss also kein Hochhaus sein und auch nichts mit den sozialistischen Einheitsbuden nach dem legendären DDR-Bautyp „WBS70“ gemeinsam haben. Anfang dieses Jahres hatte die neue Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) in einem Radiointerview serielles Bauen als Weg aus der Wohnungskrise beschrieben. Hintergrund: Die Bundesregierung möchte jährlich rund 400.000 neue und vor allem bezahlbare Wohnungen bauen. Serielle Fertigung soll diese Pläne ermöglichen, so die Ministerin.
Übrigens: Wer aufmerksam durch seine Stadt geht, wird dort, wo neue Wohnungen entstehen, ohnehin oft auf serielles Bauen stoßen. Viele der Neubauten bestehen aus Fertigbauteilen. Mit ihren bodentiefen Fenstern, großen Balkonen und klaren Zuschnitten erinnern diese Häuser jedoch definitiv nicht an das, was viele Menschen unter dem Begriff „Plattenbau“ verstehen.