15. Februar 2021, 14:04 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Smart Home ist nach wie vor für viele Verbraucher ein Buch mit sieben Siegeln. Sie scheuen die Technik, die Kosten, den Aufwand. Doch eigentlich geht es um etwas ganz anderes, erklärt ein Experte im Gespräch mit myHOMEBOOK.
„Ein Bekannter hat einen Teich mit Koi-Karpfen, den er mit einem Bewegungssensor ausgestattet hat“, erzählt Günther Ohland, Vorstandsvorsitzender der SmartHome Initiative Deutschland e.V. im Interview mit myHOMEBOOK. „Wenn der Reiher kommt, geht automatisch der Rasensprenger an.“ Dieses Beispiel soll verdeutlichen: Alles ist möglich, es gibt bei Smart Home (fast) keine Grenzen. Allerdings sind diese noch oft in den Köpfen der Verbraucher vorhanden. Der Experte erklärt im Interview, was dahintersteckt und was „smart“ für ihn bedeutet.
Welche Vorteile bietet Smart Home?
Ohland: „Im Grunde geht es dabei um drei Säulen. Erstens kann man mit Smart Home Geld sparen. Dabei geht es weniger um Strom, sondern vor allem um Heizkosten. Das spürt man bei der Heizkostenabrechnung am Ende des Jahres. Zwischen 20 und 30 Prozent kann man einsparen. Ich kenne einen Fall, bei dem wurden 60 Prozent eingespart – aber das ist eher die Ausnahme.“
„Zweitens geht es um mehr Komfort. Das betrifft aber nicht nur junge Leute. Ein smarter Herdwächter kann beispielsweise mit Lärm warnen, bevor es in der Wohnung brennt. Und drittens geht es um mehr Sicherheit. Smarte Rollläden können Anwesenheit simulieren. Ein Überflutungssensor gibt Alarm, wenn der Schlauch der Waschmaschine reißt. Generell kann man sagen: Smart Home macht das Leben einfacher, sicherer und komfortabler – und man spart dabei auch noch Energie und Geld.“
Bezüglich der Einsparung bei den Heizkosten hat myHOMEBOOK zusätzlich beim Umweltbundesamt nachgefragt. Jens Schuberth, Mitarbeiter im Fachgebiet Energieeffizienz erläutert: „20 bis 30 Prozent Ersparnis sind bei einer Vollausstattung unter günstigen Umständen vorstellbar, wenn auch die Betriebsweise der Heizung entsprechend optimiert wurde. Diese Optimierung ist auch ohne Smart Home möglich, aber wesentlich schwieriger. Thermostat-Steuerungen arbeiten mit Zeitfenstern, das spart Energie. Zudem regeln sie genauer – nämlich auf 0,5 Grad – und die Temperaturschwankungen sind geringer.“
Welche Funktionen lassen sich im Smart Home steuern?
Ohland: „Zuerst sollte man sich überlegen, was man überhaupt erreichen möchte. Denn man kann im Smart Home alles mit allem verbinden, alles kann Sensor und Aktor sein. Wenn der Fernseher angeht, fährt beispielsweise gleichzeitig das Rollo runter, damit die Sonne nicht auf den Bildschirm scheint und blendet. Allerdings gibt es diese Systeme nicht fertig im Handel zu kaufen.“
Welche Komponenten sind dazu nötig?
Ohland: „Sie brauchen in der Regel ein Steuergerät, das am Netzwerk hängt. Über eine App oder den Browser richtet man es für sich ein und verbindet die einzelnen smarten Bausteine wie Bewegungsmelder oder smarte Thermostate miteinander. Danach braucht man die App eigentlich nicht mehr – es funktioniert nun alles von allein. Auch Komponenten unterschiedlicher Standards sind mittlerweile durch geeignete Software interoperabel geworden.“
„Es ist nicht smart, wenn man das Handy zückt, eine App startet und dann das Rollo per Fingertip herunterlässt. Viele Leute sagen smart und meinen dabei fernbedient. Es geht darum, dem Smart Home seine eigenen Regeln aufzuerlegen, nach denen es funktionieren soll. Nur dann, wenn man von den Regeln abweichen will, sollte man zur App greifen müssen.“
Was ist im Mietverhältnis zu beachten? Dazu hat sich myHOMEBOOK beim Münchner Mieterverein e.V. erkundigt. „Der Mieter braucht nur dann die Genehmigung des Vermieters, wenn er wirklich in die Bausubstanz des Gebäudes eingreift“, erklärt Sprecherin Anja Franz. „Wenn er also den Putz aufschlägt, um dort Leitungen zu verlegen, sollte er den Vermieter schon fragen. Natürlich auch, wenn an der Elektrik, der Wärmeversorgung o.ä. etwas gemacht werden muss. Kameras kann er nur dann installieren, wenn dadurch niemand anderes beeinträchtigt oder gefilmt werden kann, wegen des Datenschutzes. Wenn dies aber nicht der Fall ist, braucht der Mieter auch keine Genehmigung.“
Für wen hat Smart Home den größten Nutzen?
Ohland: „Den größten Nutzen hat Smart Home für Senioren – und für Berufspendler. Wenn niemand zu Hause ist, braucht man keine Wohlfühltemperatur, aber dafür Einbruchschutz. Und im Alter ist man nicht mehr so schnell und beweglich. Wenn es weh tut, vom Sofa aufzustehen, kann Smart Home sehr hilfreich sein.“
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Haben Sie das Gefühl, dass eine bestimmte Zielgruppe dabei vergessen wird?
Ohland: „Als Hersteller macht man ungern Werbung mit Alten, Kranken und Menschen mit Behinderung. Man möchte lieber junge und strahlende Menschen zeigen. Die Marketing-Abteilungen tun sich da schwer. Da fehlt der Mut! Die Älteren fühlen sich deshalb nicht angesprochen. Die Senioren sind die größte Zielgruppe – und sie haben das Geld, um in hilfreiche Technik zu investieren. Aber sie wollen keinen technischen Schnickschack, sondern Technik, die ihnen hilft.“
Mit welchen Kosten muss man dabei rechnen?
Ohland: „Bei 100 Euro fängt es an, zumindest beim Nachrüsten im Bestand, man kann aber auch 1000 Euro oder mehr ausgeben. Bei einem Neubau sollte man mit rund 5000 Euro rechnen, vor fünf Jahren waren es noch 10.000, und vor 10 Jahren 20.000. Heute ist vieles einfacher und preiswerter geworden“
Wie schätzen Sie die Akzeptanz von Smart Home in Deutschland ein?
Ohland: „Ich denke, die Deutschen haben den Nutzen von Smart Home noch nicht ganz verstanden – zumindest nicht in ganzer Tiefe. Das liegt auch daran, dass viele großen Marken ihre Technik-Produkte als smart verkaufen und so den Begriff prägen. Ein selbstfahrender Staubsauger ist aber noch nicht smart! Das ist der Einstieg in Smart Home und macht Lust auf mehr. Ich finde das ganz hilfreich, denn über den Einzelnutzen wird man an das Thema herangeführt. Das Verständnis für Smart Home kommt über die einfachen Dinge. Inzwischen spielt das Design eine größere Rolle. Jeder kann sich heraussuchen, was ihm am besten gefällt. Dass die Technik dahinter stimmt, ist mittlerweile klar.“
Wie schneiden die deutschen Hersteller im internationalen Vergleich ab?
Ohland: „Deutschland ist Smarthome-Mutterland, aber leider hat man vergessen, weltweit gutes Marketing zu machen. Das Problem: Wir haben hier viele Mittelständler, keine großen Konzerne mit großem Werbebudget. Dem Mittelstand ist einfach nicht die Möglichkeit gegeben, 200 Millionen für Werbung auszugeben. Die großen Player aus den USA und Fernost bestimmen über das Marketing die Nachfrage. Die deutschen Hersteller haben viel zu lange über Technik argumentiert, aber damit kommt man nicht in den Massenmarkt. Wir als Verband raten unseren Herstellern schon lange: Hört auf über Technik zu reden, sprecht über den Nutzen.“
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Was halten Sie von Produkten aus USA oder China?
Ohland: „Wir haben in Europa eine DSGVO (Datenschutzgrundverordnung, Anm. d. Red.), und die ist sehr gut. Alles was importiert wird, muss dem entsprechen – zumindest auf dem Papier. Die meisten fernöstlichen oder US-amerikanischen Produkte setzen jedoch zu 100 Prozent auf die Cloud mit Servern in den USA und Fernost. Damit habe ich so meine Probleme. Wenn die Server nicht in Europa stehen und damit der DSGVO unterliegen, wissen wir nicht was mit den Daten passiert.“
„Bei den Produkten gibt es entsprechende Unterschiede. Cloud-Produkte sind günstiger als Systeme mit lokalem Server – aber man gibt über die Cloud potentiell Teile seines Lebens Preis. Letztlich muss das aber jeder für sich selbst entscheiden. Nach meiner Meinung sollte zumindest der Server in Europa stehen. Weil dann die DSGVO eingehalten wird und notfalls per Gericht eingefordert werden. Man sollte also lieber 10 Euro mehr für eine europäische Lösung ausgeben. Manche Hersteller werben sogar mit Datensicherheit und dass sie keine persönlichen Daten der Kunden erheben. Die Angst, dass jemand in die Privatsphäre eindringt, ist bei den Deutschen besonders ausgeprägt.“
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Wie sieht die Zukunft von Smart Home aus?
Ohland: Wir haben in Deutschland eine Neubau-Quote von rund einem Prozent. Wir brauchen also rein rechnerisch 100 Jahre, um jedes Haus smart durch ein neues zu ersetzen. Smart Home über den Neubau einzuführen dauert also sehr lange. Zum Glück sind die meisten Lösungen für die Nachrüstung geeignet. Wir brauchen nicht mehr die Wände aufschlagen und Kabel zu legen, Smart Home geht heute über sichere Funksysteme. Außerdem sind viele Wohnungsbaugenossenschaften daran interessiert, ihre Mieter lange zu halten, gerade die Senioren. Sie haben deshalb ein Interesse an der Smarthome-Nachrüstung.“
„Die Voraussetzung dafür: Schnelles Internet! Aber auch das ist in den nächsten 10 Jahren gegeben. Spätestens in 20 Jahren ist Smart Home der Normalfall und gehört zur Standardausstattung – wie warmes und kaltes Wasser. Vieles wird sich entwickeln. Der Standard wird allerdings keine Komplettausstattung sein, vielmehr eine Basis, die nach Bedarf ergänzt wird.“
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Wenn jede Wohnung smart wäre, wie wäre die Auswirkung auf Klima?
Ohland: „Zunächst geht es um die Frage: Wo kommt das ganze CO2 her? Ein Sechstel davon kommt vom Heizen aus dem Wohnbereich. Wenn wir das um 30 Prozent reduzieren können, und das ist mit Smart Home möglich, hätten wir eine sehr viel größere Chance, unsere Klimaziele zu erreichen.“
Ohland verweist in diesem Kontext auch auf das Bürger-CO2-Projekt des Verbandes, das in diesem Video vorgestellt wird.
Wie sieht das perfekte Smart Home aus?
Ohland: „Wie bei mir zu Hause. Meine Daten verlassen meine Wohnung nur, wenn ich es will. Das Internet bietet viele ergänzende Dienste, aber wenn das Internet gestört ist, habe ich zumindest noch meine Grundfunktionen. Völlige Abhängigkeit vom Netz ist gefährlich!“
Schuberth vom Umweltbundesamt ergänzt: „Das optimale Smarthome-System besteht aus einer präzisen Regelung, die auf das Gebäude abgestimmt ist, beispielsweise einer Heizungsregelung im Einfamilienhaus, und nutzt offene Protokolle. Zudem sollte die Technik einen geringen Eigenverbrauch haben, den die Hersteller transparent ausweisen sollten. Sogar eine schaltbare Steckdose im Standby hat einen Eigenverbrauch. Sind die Daten nicht vorhanden, sollte man konsequent nachfragen oder auf ein anderes System wechseln. Was den Smarthome-Lösungen oft fehlt, ist das Feedback. Die Verbrauchsdaten für Heizung und Strom müssen ausgewertet werden und jede Heizung sollte mit einer Monitoring-Schnittstelle ausgerüstet sein. Dabei geht es auch um den Belohnungseffekt, wenn viel Energie eingespart wurde. Im Idealfall haben wir zukünftig die Messtechnik, die Energie-Effizienz beim Heizen ist stark gestiegen und die Technik verbreitet sich immer weiter.“