14. August 2024, 11:05 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Lange waren Tupperware-Partys, das Direktvertriebsmodell für die Kunststoff-Haushaltsprodukte des US-Unternehmens Tupperware, eine riesige Erfolgsgeschichte. Nun aber droht dem Unternehmen zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres die Insolvenz.
Tupper-Partys waren legendär. Und lukrativ, vor allem für Tupperware selbst. So konnte das von Earl Silas Tupper 1938 gegründete Unternehmen zu seiner erfolgreichsten Zeit wiederholt Umsätze in Milliardenhöhe ausweisen. Aber der Reihe nach.
Als der auf einer Farm geborene und aufgewachsene Earl S. Tupper (1907 – 1983) im Jahr 1938 die Tupperware Company gründete, war das bereits der zweite Versuch des ehemaligen Farmarbeiters, sich selbstständig zu machen. Mit seiner ersten Geschäftsidee, einer Gärtnerei, war Tupper 1936 noch gescheitert. Als er daraufhin beim Chemie-Unternehmen DuPont (heute als DuPont de Nemours einer der weltgrößten Chemie-Konzerne) anheuerte, arbeitete Tupper dort auch mit Polyethylen. Der Kunststoff versprach goldene Zeiten, taugte er doch als ideale Alternative zu deutlich teureren Materialien wie Metall, Glas oder Porzellan. Denn Polyethylen hergestellte Produkte waren nicht nur leichter Glas, sondern vor allem auch unzerbrechlich.
Die „Wunderschüssel“
So produzierte die Tupperware Company zunächst allerlei Behältnisse für Lebensmittel. Mit dem Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg benannte Tupper seine Firma in Tupper Plastic Company um. Er belieferte nun auch die US-Streitkräfte mit seinen Produkten und stellte zudem Komponenten etwa für Gasmasken oder Signallampen her. Nach dem Krieg widmete er sich wieder dem Haushaltsmarkt und bot ein ständig wachsendes Sortiment an Küchen-tauglichen Kunststoffprodukten an. Ein erster großer Achtungserfolg gelang ihm 1946 mit einem runden, luft- und wasserdichten Vorratscontainer. Als „Wonderlier Bowl“ („Wunderschüssel“) hier er Einzug in den Sprachgebrauch der US-Amerikaner.
Diese luft- und wasserdichte Wunderschüssel mit einem patentierten Sicherheitsverschluss machte es möglich, vor allem leicht verderbliche Lebensmittel länger frisch zu halten. Eine bahnbrechende Neuerung in einer Zeit, in der noch längst nicht jeder Haushalt einen Kühlschrank besaß. Und doch ließ der ganz große finanzielle Erfolg noch auf sich warten. Vor allem deshalb, weil Tupper seine Produkte über Haushaltswarengeschäfte vertreiben ließ, sodass er gerade in ländlichen Gegenden, etwa dem Mittelwesten der USA, viele Haushalte gar nicht erreichte.
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Jetzt wurde Party gemacht
Ein neuer Vertriebsweg musste her. Und den fand Tupper bei Stanley Home Products und einer der Verkäuferinnen des Vertriebsunternehmens, einer gewissen Brownie Wise. Wise erfand das Konzept der „Tupperware Home Partys“. Dabei werden die Produkte den potenziellen Kundinnen zu Hause, in deren Küchen oder Wohnzimmern, präsentiert. Ein nicht zu unterschätzender psychologischer Vorteil, sitzt der Geldbeutel in den eigenen vier Wänden und damit in vertrauter Atmosphäre doch lockerer als in irgendeinem Geschäft. Man kennt diese Vertriebsart, den Direktvertrieb, in Deutschland etwa auch von Vorwerk-Staubsaugern.
Wise leistete auf diesen Partys anschauliche Überzeugungsarbeit, um ihre Kundschaft von den Vorteilen von Tupperware-Produkten zu überzeugen. So warf sie etwa einen mit Flüssigkeit gefüllten Behälter auf den Boden und stellte sich dann mit einem Fuß auf den Plastikcontainer. Der überstand diese Demonstration ohne jeglichen Schaden, was die Anwesenden überzeugte. Und das galt zunächst auch für Earl S. Tupper selbst, der Wise 1951 zur Verkaufsdirektorin und zur Vizepräsidentin von „Tupperware Home Partys“ berief.
1954 erwirtschaftete die neue Verkaufsmethode bereits einen Jahresumsatz von 25 Millionen Dollar. Das brachte Wise als erste Frau überhaupt auf die Titelseite des renommierten US-Wirtschaftsmagazins „Business Week“. Und „Spiegel Online“ nannte die Geschichte von Wise noch mehr als ein halbes Jahrhundert später „ein modernes Aschenputtel-Märchen.“
Und doch sollten Tupper in den kommenden Jahren erste Zweifel an Wise kommen. Von ihren Anhängerinnen als „Tupper-Königin“ gefeiert, inszenierte sie sich mit einem exaltierten Lifestyle entsprechend. Extravagante Kleidung, ein glamouröses Heim in der Nähe des Tupperware-Anwesens in Kissimmee, Florida, ein pinkes Cabrio und eine pink-gefärbter Kanarienvogel in ihrem Büro – all das war dem nüchternen, zurückhaltenden Geschäftsmann Tupper ein Dorn im Auge. Umso mehr als ihn die Jahresfeiern von Wise bis zu 48.000 Dollar kosteten. Noch mehr aber befürchtete er, die enge Bindung der Käuferinnen zu Wise würde weniger seinen Produkten, als Wise persönlich gelten.
Die „Tupper-Königin“ wurde zur Persona non grata
1958 feuerte er Wise schließlich, und dies ohne offizielle Begründung. Auf der kurz darauf einberufenen, jährlichen Versammlung der rund 2000 „Tupperware-Ladies“, wie die Verkäuferinnen auch genannt wurden, sollte sich aber zeigen, dass seine Befürchtung eine Fehleinschätzung gewesen war. Wise hatte mittlerweile „Cinderella Cosmetics“ gegründet, sodass Tupper verkünden ließ: „Falls hier irgendjemand aufstehen und Brownie Wise folgen möchte, dann verlassen Sie bitte jetzt den Saal.“ Tatsächlich aber erhob sich keine der Frauen, die Wise mit ihrem Konzept zu erfolgreichen Kleinunternehmerinnen gemacht hatte.
In der Folge ließ Tupper den Namen seiner einstmals besten Verkäuferin, deren Konzept Tupperware in den 50er-Jahren erst zu einem „millionenschweren Plastik-Imperium“ („Spiegel online“) hatte wachsen lassen, schließlich sogar aus der Unternehmungschronik streichen. Nur ein Jahr später, 1959, hatte er aber selbst genug von Tupperware und verkaufte das Unternehmen für 16 Millionen Dollar.
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Tupperware wird in Deutschland zum Erfolg
Dennoch brach 1962 die (Tupper-)Party-Euphorie nun auch in Deutschland aus, das sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte zum drittgrößten Absatzmarkt für Tupperware hinter Mexiko und den USA entwickeln sollte. Noch 1984, ein Jahr nach Tuppers Tod, lief eine Reihe der Patente von Tupperware aus. Danach wurde etwa der bis dahin einzigartige „Tupperware Burp-Verschluss“ (das Geräusch, das entsteht, wenn beim Verschließen die Luft entweicht) massenhaft kopiert. Eine günstigere Konkurrenz, das baldige Aufkommen des Online-Handels sowie das eigene, viel zu lange Festhalten am Direktvertrieb und gestiegene Materialkosten durch Corona und den Ukraine-Krieg führten in der Folge zu stetig sinkenden Marktanteilen und einem ebenso steten Umsatzrückgang.
So musste das Unternehmen im April 2023 die US-Börsenaufsichtsbehörde über einen Liquiditätsengpass informieren, der den Weiterbetrieb stark gefährden würde. „Es hätte uns viele Probleme und Schmerzen für das Unternehmen erspart, wenn wir schon vor zehn Jahren umgeschwenkt wären“, bekannte im September 2023 der damalige Vorstandschef Miguel Fernandez im Gespräch mit „Welt“.
Gleichzeitig aber sah er Tupperware zu diesem Zeitpunkt wieder auf dem richtigen Weg. Es war ihm gelungen, „neue Kreditvereinbarungen mit unseren Banken“ abzuschließen und für zwei Jahre keine Zinsen für rund die Hälfte des Schuldenbergs von zuletzt gut 700 Millionen US-Dollar bezahlen zu müssen, so Fernandez. Er hatte auch den ersten eigenen Tupperware-Online-Shop auf den Weg gebracht und Vertriebsvereinbarungen geschlossen, etwa mit der US-Warenhauskette Target.
2024 droht erneut die Insolvenz
Lange allerdings sollte diese Hoffnung nicht währen. Nur zwei Monate später wurde Fernandez abberufen und durch Laurie Ann Goldmann ersetzt wurde. Sie hatte zuvor den Leggins-Hersteller Spanx zur Erfolgsgeschichte gemacht. Aber auch Goldmann droht nun krachend zu scheitern: im April 2024 musste Tupperware zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres die US-Börsenaufsicht über einen weiteren existenziellen Liquiditätsengpass informieren. Das Online-Portal „KunststoffWeb“, nach eigener Aussage „einer der Internet-Pioniere der Kunststoffindustrie“, wenn es um News für die Fach- und Führungskräfte der Branche geht, sah Tupperware im April bereits „kurz vor dem Absturz.“
Gibt es noch Tupper-Parties?
Das Online-News-Magazin von RTL titelte plakativ: „Tote Dose: Geschäftsmodell der Tupperware angestaubt“. Das, was einst „der letzte Schrei“ war, sei „längst nicht mehr zeitgemäß“. Tupperware habe lange Zeit auf den klassischen Vertrieb über die Tupper-Partys gesetzt, darüber aber das digitale Geschäft versäumt. Zudem habe man zu lange an hohen Preisen festgehalten, während Shopping-Giganten wie Amazon oder Alibaba mit enormer Marktmacht die Preise drückten. Auf RTL-Anfrage habe sich Tupperware Deutschland aber nicht geäußert, so das vorläufige Fazit des News-Magazins.
Eine Erfahrung, die nun auch myHOMEBOOK machen musste. Auf die Anfrage, ob mit Tupperware-Partys tatsächlich noch Geld zu verdienen sei – das Unternehmen wirbt auf seiner Homepage noch immer um Tupperware-Party-People –, erhielten wir bisher keine Antwort.
Dass Tupperware Brands im Juni bekannt gab, das einzige verbliebene Werk in den USA, den Standort in Hemingway, South Carolina, Anfang 2025 zu schließen und die Produktion nach Mexiko zu verlagern, dürfte verloren gegangenes Vertrauen in die Marke jedenfalls ebenso wenig zurückbringen wie diverse Shop-Schließungen in Deutschland. So wurden die erst vor rund drei Jahren eröffneten Ladengeschäfte in Kleve und Hildesheim kürzlich aufgegeben.
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„Normaler Sale oder finale „Alles muss raus“-Aktion bei Otto?
Und schließlich könnte auch eine aktuelle Verkaufsaktion bei Otto darauf hinweisen, dass Tupperware buchstäblich rasant an Wert verliert. Denn seit Anfang August läuft beim Online-Versandhaus ein Tupperware-Sale, bei dem Bestseller wie der Lunchbox-Becher oder der Brotkasten deutlich unter dem ursprünglichen Preis angeboten werden. Bis zu 77 Prozent Rabatt gewährt Otto aktuell auf einige Tupperware-Produkte – was vermuten lässt, dass es sich hier um eine finale „Alles muss raus“-Verkaufskampagne handeln könnte.
Vom Direktvertrieb zum Schuldenberg
„Einst bescherte das Direktvertriebsmodell Tupperware immense Umsätze. Dann aber ignorierte man lange die digitale Entwicklung und das Aufkommen des Online-Handels. So sind heute vor allem die Schulden immens, sodass bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten die Existenz des fast 86 Jahre alten Unternehmens auf der Kippe. „Die Party ist unwiderruflich aus!“, könnte es also schon bald heißen.“