20. April 2021, 20:31 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Das Weiß die hellste aller Farben ist, ist keine Neuigkeit. Genauer gesagt handelt es sich dabei um eine „unbunte Farbe“ – wie schwarz oder grau. Forscher haben nun einen Farbton entwickelt, der besonders weiß sein soll. Er kann auch einige Vorteile für den Hausbau mit sich bringen.
Weiße Oberflächen haben die Eigenschaft, dass sie Licht und Wärme reflektieren und sich damit nicht so schnell aufheizen. Wissenschaftler haben nun versucht, eine möglichst weiße Farbe zu entwickeln, die fast das komplette Licht zurückwirft. Das Ergebnis: Es heizt sich auch in direkter Sonneneinstrahlung kaum auf. Damit bildet diese Farbe den Gegenpart zu „Vantablack“ – dem aktuell schwärzesten Schwarz der Welt, das Licht fast vollständig absorbiert.
Was steckt hinter der weißen Farbe?
„Ultrawhite BaSO4“ nennt sich die Farbe, die ein Forscherteam der Purdue University in West Lafayette (Indiana) entwickelt haben. 98,1 Prozent des Lichteinfalls kann die Farbe reflektieren, wie das Fachmagazin ACS Applied Materials & Interfaces erklärt. BaSO4 steht dabei für Bariumsulfat, was auch den Hauptbestandteil der besonderen Zusammensetzung ausmacht. Bariumsulfat wird als weißes Pigment bereits seit längerer Zeit eingesetzt. Die Forscher haben damit das weißeste Weiß nun weiter perfektioniert, bis es nahezu alles Licht zurückwirft.
Das haben sie erreicht, indem sie die Zugabe an Bariumsulfat maximierten und dabei auch unterschiedliche große Partikel verwendeten. Denn wie stark das Pigment das einfallende Licht reflektiert, liegt mitunter an der Größe der Teilchen. Möglichst viel Licht wird laut Erkenntnis der Forscher zurückgeworfen, wenn diese Farbpartikel unterschiedliche Größen aufweise.
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Welchen Nutzen hat das weißeste Weiß?
Soviel zur Theorie – aber was bedeutet dies für die Praxis? Die Forscher führten Tests durch, wie stark sich eine Fläche aufheizte, die mit dem Bariumsulfat-Weiß gestrichen war. Dabei stellte sich heraus, dass die weißen Flächen im Vergleich zur Umgebung erheblich kühler waren. Bei direkter Sonneneinstrahlung waren es rund 4,5 Grad Temperaturunterschied, in der Nacht – also ohne Licht – waren es sogar zehn Grad. Man kann also sagen, dass das weißeste Weiß einen kühlenden Effekt hat. Hochgerechnet auf ein Dach von 100 Quadratmetern entspricht dies einer Kühlleistung von rund zehn Kilowatt.
Farbe, die Hitze reflektieren, gibt es bereits. Allerdings ist ihr Wirkungsgrad um einiges geringer als von Bariumsulfat-Weiß und liegt zwischen 80 und 90 Prozent des reflektierten Lichts. Diese hitzereflektierenden Farben würden zwar verhindern, dass sich eine Fläche aufheizt, hätten aber keine kühlende Wirkung.
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Was bringt das weißeste Weiß für den Hausbau?
Dass sich Flächen mit weißer Farbe weniger aufheizen, ist bekannt. In wärmeren Ländern zeigt sich das in der Architektur, beispielsweise in helleren Fassaden oder Dächern. Weiße Dach-Eindeckungen könnten neben Dachbegrünungen sogar ein effektives Mittel gegen die Erderwärmung sein. Bereits vor einigen Jahren entwickelten US-Forscher der Arizona State University in Tempe mit dem Konzept der „Cool Roofs“ eine weiße Beschichtung, welche die Umgebungstemperatur laut Berechnung um rund 1,5 Grad senken kann. Dabei sollte 90 Prozent der Sonneneinstrahlung reflektiert werden, weshalb sich die Gebäude weniger aufheizen.
Mit dem weißesten Weiß, das Forscher nun entwickelten, ist der Wirkungsgrad nochmal höher. Die Farbe könnte also einen wertvollen Beitrag zum Klimawandel beitragen. Allerdings gibt es auch einen Nachteil: Die weißen Dächer kühlen nicht nur im Sommer, sondern auch im Winter. Das würde in einem höheren Heizbedarf resultieren, was sich wiederum negativ auf das Klima auswirkt.
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4 Fragen an einen Mitarbeiter aus dem Forscher-Team
myHOMEBOOK kontaktierte die Purdue University mit einigen Fragen rund um das Projekt. Die Antworten lieferte Xiangyu Li – ein Mitarbeiter, der an der Entwicklung der „weißesten Farbe“ beteiligt war.
Was war die Herangehensweise und die Motivation hinter dem Projekt?
Xiangyu Li: „Seitdem Wissenschaftler das Phänomen der Strahlungskühlung in den 1970er-Jahren erforschten, hat man versucht, Farben für passive Kühlung zu entwickeln. Allerdings absorbierten die Farben zu viel Sonnenlicht und konnten die Kühlung tagsüber nicht gewährleisten, als sie am meisten gebraucht wurde. […] Wir dachten, der beste Ansatz für Strahlungskühlung besteht auf Grundlage eines Partikel-Polymer-Verbundwerkstoffs, der kommerziellen Farben ähnelt. Mit der Entwicklung begannen wir im Jahr 2014.“
„Während den Tests versuchten wir, verschiedene mögliche Materialien für die Farbe zu identifizieren. […] Bei den letzten Studien kamen wir zum Ergebnis, dass eine hohe Konzentration und eine breit gefächerte Verteilung der Partikelgröße von Vorteil war. Als wir diese Ansätze implementierten, sahen wir, dass die Farbe weißer wurde im Vergleich zu vorherigen Versuchen. Es war sehr aufregend, dass die Farbe beim Trocknen immer deckender und weißer wurde. Von diesem Zeitpunkt an optimierten wir die Formel der Farbe weiterhin für bessere Ergebnisse und höhere Haltbarkeit, die zu unserem aktuellen Stand führte.“
Glauben Sie, die „weißeste Farbe“ hat einen praktischen Nutzen, um Gebäude zu kühlen?
Xiangyu Li: „Ja, wir glauben, sie ist sehr vielversprechend, wenn es darum geht, Gebäude zu kühlen. Außerdem kann man sie in der Automobilindustrie, Lebensmittellagerung, Warenwirtschaft, bei Outdoor-Equipment oder Rechenzentren einsetzen.“
Wird es die Farbe in ein paar Jahren im Baumarkt geben? Eignet sie sich für den typischen Eigenheimbesitzer?
Xiangyu Li: „Wir hoffen, mit der Farbe in einigen Jahren den Massenmarkt zu erreichen. Der nächste Schritt ist, die Farbe weiter zu optimieren und zu kommerzialisieren, damit sie für eine große Bandbreite an Bereichen wie Gebäudehüllen, Autos, Outdoor-Ausrüstung etc. geeignet ist. Das passt auch zu typischen Eigenheimbesitzer, das wollten wir erreichen. Die Farbe wird ähnlich wie herkömmliche Farben hergestellt, transportiert und auf Oberflächen aufgetragen. […] Tests zur Abriebfestigkeit und Wetter-Bedingungen zeigten vielversprechende Ergebnisse, was die Langlebigkeit der Farbe angeht. Auch bei der Viskosität kommt die Farbe an kommerzielle Farben heran.“
Wie hoch sind die Herstellungskosten im Vergleich zu „normaler“ weißer Farbe? Und wie sieht es mit der Nachhaltigkeit aus?
Xiangyu Li: „BaSO4 ist in großen Mengen verfügbar, günstig und umweltfreundlich. Als Pulver kostet es rund die Hälfte im Vergleich zu TiO2 (Anm. d. Red.: TiO2, Titan(IV)-oxid, wird zur regulären Farbherstellung verwendet). Bariumsulfat ist für die Umwelt und den menschlichen Körper unbedenklich. Zudem wird es bereits in verschiedenen Bereichen verwendet, darunter die Betonherstellung, die medizinische Diagnose mit Schlucktests, Hautpflegeprodukte und Sonnencremes. Die Farben sind genauso umweltfreundlich wie herkömmliche kommerzielle Farben. Der Herstellungsprozess ist vergleichbar mit dem von ’normalen‘ Farben. Wenn also existierende Hersteller unsere Farbe produzieren möchten, brauchen sie keine weiteren Anlagen.“