25. März 2021, 11:02 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Sie haben sich an klassischen Blumensträußen satt gesehen, wollen deshalb aber nicht auf Blumenarrangements zu Hause verzichten? Dann könnte Ikebana interessant sein – die japanische Kunst, Blumen zu arrangieren und dabei noch etwas Gutes für sich selbst zu tun.
Ikebana ist die japanische Art, Blumen und Pflanzen so zu arrangieren, dass ihre Lebendigkeit betont wird und zum Ausdruck kommt. Dabei spielen die Linien der verwendeten Stängel und Äste eine Rolle, die Lichtverhältnisse und auch die Blickweise auf das Arrangement, das immer etwas Persönliches von demjenigen preisgibt, der es gestellt hat. myHOMEBOOK sprach mit Lebens-Coach und Ikebana-Experten Frank Huppertz über die japanische Blumenkunst, wie sie funktioniert und wie sich jeder selbst daran ausprobieren kann.
Übersicht
Woher stammt Ikebana?
Auch wenn es sich um eine japanische Blumenkunst handelt, fand Ikebana seine Ursprünge in China. Es war Teil eines buddhistischen Blumenopferrituals, das teilweise bereits im sechsten Jahrhundert in chinesischen Tempelanlagen praktiziert worden war. Als die ersten Missionare schließlich nach Japan gekommen waren, importierten sie die Blumenkunst.
Wofür steht Ikebana?
Übersetzt bedeutet Ikebana so viel wie „lebende Blume“. Genau meint es eine spezielle Art, Blumen zu arrangieren. Dabei spielen drei Linien eine maßgebliche Rolle, die für Mensch (Shin), Himmel (Soe) und Erde (Tai) stehen und die Beziehung der drei zueinander sowie die starke Verbindung zur Natur darstellen. In der Zen-Lehre spielt genau dieser Aspekt eine große Rolle: die Rückkehr zur Natur. Mit Ikebana fließt dieser in die Kunst des Blumensteckens ein.
Ziel ist es dabei nicht, Blumen optisch ansprechend zu drapieren, sondern die Unvollkommenheit der Natur wirken zu lassen und bestmöglich auszudrücken. „Im Ikebana wird die Lebendigkeit der Pflanze gezeigt und betont. Wie ist sie gewachsen, wo ist die Licht- und die Schattenseite? Die Linien der Stängel oder Äste spielen eine besondere Rolle, denn hieran kann der Betrachter erkennen, unter welchen Licht- und Wetterverhältnissen die Pflanze in der Natur gewachsen ist. Vor allem geschwungene Linien, Verletzungen wie Fehlstellen beispielsweise durch Tierfraß oder Narben sind besonders interessant und lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich“, erklärt Huppertz im Gespräch mit myHOMEBOOK.
Was braucht man für Ikebana?
Bei Ikebana werden nicht nur Blumen arrangiert, sondern auch Zweige, Gräser, Blätter, Wurzelstücke, Gemüse oder getrocknete Früchte. Die Blumen und Zweige kann man entweder im Geschäft kaufen oder auch selbst in der Natur sammeln. Dafür braucht man mitunter eine Ikebana-Schere, die über einen speziellen Schliff verfügt. Hat man Blumen und Zweige des Arrangements zusammen, benötigt man einen Steckigel (japanisch „Kenzan“), auf den die Stängel gesteckt werden und außerdem ein spezielles Ikebana-Gefäß, um das Gesamtbild der Blumenkunst abzurunden. Die spezielle Ausstattung gibt es in Fachgeschäften.
Wie funktioniert die japanische Blumenkunst?
Neben dem freien Stil gibt es verschiedene Techniken beim Ikebana. Die drei großen und bekanntesten Grundformen heißen Rikka, Jyuka und Shoka. Die Letztere eignet sich laut Huppertz besonders gut für Anfänger. Sie bedient sich besagter dreier Grundlinien, die die Einheit des Lebens symbolisieren. „Shin“ bedeutet so viel wie „Wahrheit, Reinheit, Wirklichkeit“ und steht als größte Linie in der Mitte des Arrangements. „Soe“ bedeutet „Begleitung, Ergänzung, Assistent“ und „Tai“ stellt den Körper, den Ursprung der Pflanze, dar.
„Shin neigt sich zuerst zusammen mit Soe zum Licht. Während der Aufwärtsbewegung führt ihn seine eigene Kraft und Natur zur Stellung über der Mitte des Gefäßes zurück. Im übertragenen Sinne könnte man auch sagen, dass Shin den Menschen symbolisiert. Soe erwidert Shin, reflektiert die Bewegung zum Licht und zeigt den Einfluss anderer Umweltfaktoren. Sie steht sinngemäß für den Himmel. Zuletzt vermittelt die Tai-Gruppe das Gefühl von Energie, sie zeigt den Zeitpunkt, wo das Wachstum gerade begonnen hat, die junge Pflanze. Sinngemäß steht sie für die Erde“, erklärt Huppertz.
Beim Arrangieren der Blumen gilt das sogenannte Prinzip der Drei:
- Shin bildet im Gesteck die längste Hauptlinie und spiegelt die Seele aller Elemente im Leben wider. Die hierfür verwendete Blume sollte zweimal so hoch sein wie das Pflanzgefäß.
- Soe ist halb so lang wie Shin und steht für Lebendigkeit von Dingen auf der Welt. „Sie korrespondiert mit Shin, die beiden tanzen sozusagen zusammen“, erklärt Huppertz.
- Tai ist halb so lang wie Soe und damit die kürzeste der drei Linien. Sie steht für die Form, die Dinge annehmen. Sie dient als unterstützende Linie für das gesamte Arrangement.
Die drei Grundlinien können beim Ikebana mit zusätzlichen Ästen oder Blütenständen unterstützt werden. Das Blumenarrangement darf am Ende aber nicht überladen sein.
Ein Ikebana richtig stecken
Die verschiedenen Blumen werden ja nach Linie, also Shin, Soe und Tai, zurechtgeschnitten. Ihre Stängel werden anschließend der richtigen Anordnung entsprechend auf dem Steckigel positioniert, der in das Ikebana-Gefäß gesetzt wird. Unten gibt man etwas Wasser dazu, am besten Mineralwasser. „Dann kann ein Ikebana schon anderthalb bis zwei Wochen lang halten. Denn im Gegensatz zu einem europäischen Blumenstrauß, der sehr tief im Wasser steht, stehen die Stiele nur sehr wenig im Wasser, wodurch sich weniger Bakterien bilden und die Pflanzen länger halten“, so Huppertz.
Hinweis: Verwelkte Ikebanas sollten übrigens auf dem Kompost landen, denn man gibt sie der Erde wieder.
Die japanische Kunst richtig positionieren
Im europäischen Raum kauft man in der Regel aus einer Laune heraus einen Blumenstrauß oder ein Gesteck, weil es einem gefällt und man sich etwas Schönes in die eigenen vier Wände holen möchte. Erst danach wird ein passender und relativ willkürlicher Platz gesucht – häufig die Mitte des Ess- oder Couchtischs. Ein Ikebana muss hingegen rhythmisch und dynamisch sein und ist daher selten mittig ausgerichtet. „Es braucht Raum für Gedanken. Ein Ikebena lädt zu einer Reise durch die Linien ein, wenn man davor steht“, erklärt Huppertz gegenüber myHOMEBOOK.
In Japan ist ein Ikebana eine Art Willkommensgruß für Gäste. Es steht am Tokomona, der sogenannten Ehrennische. Es handelt sich um einen kleinen Erker, der häufig bereits beim Betreten der Räumlichkeiten sichtbar ist. Er wird entweder von einem künstlichen Licht oder einem Fenster mit Licht versorgt, damit das Ikebana wirken kann.
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Für wen eignet sich Ikebana?
Laut Huppertz eignet sich Ikebana für jeden. Die Grundlinien lernt man innerhalb kürzester Zeit und anschließend ist jeder in der Lage, ein Shoka herzustellen. Besonders geeignet ist es auch für diejenigen, die sich nach Entspannung sehnen, denn die japanische Blumenkunst ist auch eine Art Meditation: „Die Begegnung mit den Pflanzen ist immer auch ein Sich-selbst-Begegnen, ein kreativer Prozess. Die kreative Kraft schöpft sich aus der Stille, aus der Meditation.“ Beim Arrangieren geht es darum, sich auf das einzulassen, was ist und in die Stille zu horchen. Die Pflanze werden dabei aus der Intuition in das Gefäß gestellt.