31. August 2021, 20:30 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Ohne Beton läuft nichts auf dem Bau. Der Baustoff bereitet jedoch enorme Umweltprobleme. Ein neuartiger, „lebender“ Betonersatz könnte eine klimafreundliche Alternative bieten.
Auf den ersten Blick sieht man es dem Quader nicht an, erinnert der Stein doch eher an einen überdimensionierten Müsli-Riegel. Dennoch könnte das Material, das Forscher aus den USA entwickelt haben, die Baubranche revolutionieren. Zumindest ist die Erfindung ein Puzzleteil unter vielen, um das drängende CO2-Problem der Zementindustrie in den Griff zu kriegen: lebender Beton. Die Technologie steht noch am Anfang. Dennoch haben Forscher die Hoffnung, dass lebende Baustoffe zukünftig die Effizienz und Nachhaltigkeit der Baustoff-Produktion verbessern.
Lebender Beton durch Bakterien
Der neue Wunderbaustoff sei für das Klima besser als herkömmlicher Beton, ist sich Wil Srubar von der University of Colorado, Boulder (USA) sicher. Das Geheimnis: Der Beton ist mit Cyanobakterien versetzt. Normalerweise werden bei der Herstellung von Beton Unmengen an Kohlendioxid ausgestoßen. Die Blaualgen-Bakterien verbrauchen den Klimakiller hingegen und scheiden mineralische Stoffe aus.
Srubar und sein Team entwickelten den umweltfreundlichen Baustoff, indem sie die Bakterien mit Gelatine, Salzen und Nährstoffen vermengten. Bei 40 Grad Celsius erwärmt, scheiden die Mikroben den Stoff aus, der auch für die herkömmliche Zementherstellung essenziell ist: Calciumcarbonat oder einfach nur Kalk. Die Bakterien-Melange rührten die Wissenschaftler mit Sand zusammen und gossen das Ganze in eine Form. Nach einer Trockenphase von einigen Tagen hielten die Forscher einen festen, leuchtend grünen Ziegelstein in den Händen, der allerdings nach einiger Zeit Grau verblasste.
Der lebende Beton kann sich vermehren
Es klingt wie Science Fiction, was der grüne Baustoff noch können soll. Das Material vermehrt sich – und zwar exponentiell. Dazu halbierten die Wissenschaftler den von ihnen erzeugten Stein. Die beiden einzelnen Teile der „Elterngeneration“ erwärmten sie erneut unter Zugabe von Nährstoffen, Salzen und Gelatine, aber dieses Mal ohne weitere Bakterien. Wieder mengten sie Sand unter. Anschließend gossen sie die Mischung in zwei Formen. Nach sieben Tagen wiederholten die Forscher die Prozedur und erzeugten weitere Betonsteine.
Beim Vermehrungsprozess zeigte sich zudem, dass die Bakterien ziemlich robust sind. Nach der dritten Generation an Ziegelsteinen und 30 Tagen lebten bei einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent noch neun bis 14 Prozent der Mikroben. Das sei nach Ansicht der Wissenschaftler weit mehr als bei anderen zementartigen Materialien mit eingekapselten Mikroben. Hier würden nur bis zu 0,4 Prozent der Bakterien überleben.
Kann man mit dem Bakterien-Beton Häuser bauen?
Soweit lehnt sich Srubar nicht aus dem Fenster. In einer im Fachjournal „Matter“ erschienenen Studie betont er, dass der lebende Bakterien-Beton weniger Belastung aushält als herkömmlicher Beton. Allerdings könnten Gebäudefassaden mit dem Baustoff hochgezogen werden. Und auch für Straßenpflaster würde sich der Baustoff gut eignen.
Derzeit arbeiten die Wissenschaftler daran, die Bakterien noch besser vor negativen Umwelteinflüssen wie Austrocknung zu schützen. Dadurch wird der neuartige Beton stabiler. Die Gelatine, die derzeit beim Herstellungsprozess zur besseren Festigkeit zugefügt wird, könnte in späteren Entwicklungsstadien weggelassen werden. Und anstatt Sand, der als Rohstoff immer rarer wird, könnte gemahlenes Altglas verwendet werden.
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Beton und Bakterien keine ganz neue Entwicklung
Beton ist auf den ersten Blick kein lebensfreundliches Milieu für Mikroorganismen. Dennoch gibt es seit einigen Jahren eine Anzahl an Forschungsprojekten, die dem traditionellen Baustoff Beton bzw. Zement mithilfe von Bakterien auf die grünen Sprünge helfen wollen. So haben Wissenschaftler an der Hochschule München eine Methode entwickelt, um effektiv Mikroorganismen zu züchten, die Kalk absondern. Für die Sanierung von Gebäuden oder Brücken aus Beton ist das möglicherweise ein kostengünstiger Ansatz. Denn selbst kleinste Hohlräume oder feine Risse „reparieren“ die Bakterien mit ihren Kalk-Ausscheidungen spielend. Verrückt scheint auch der Ansatz, mithilfe von Pilzen Häuser zu bauen. Was dahintersteckt, erklärt myHOMEBOOK in diesem Artikel.