19. Januar 2024, 6:24 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Reet gilt als umweltfreundliche und vollständig biologisch abbaubare Dacheindeckung. Das besondere Naturmaterial prägt die Küstenregionen wie kein anderes, hat aber auch so seine Tücken. myHOMEBOOK erklärt die Faszination um eines der bekanntesten Merkmale des Nordens.
Bereits beim bloßen Anblick löst ein Reetdach ein äußerst behagliches Gefühl aus und lässt fast schon vom Leben in einem solchen Haus träumen. Der Duft des Meeres und das Rauschen der Wellen sind dann – zumindest in der eigenen Vorstellung – meist nicht mehr weit. Ein mit Reet gedecktes Dach steht für eine jahrhundertealte Bautradition, die vor allem in der Küstennähe Deutschlands, aber auch in anderen Regionen Europas vorkommt. Doch was genau ist ein Reetdach? Warum taucht es überwiegend im Norden auf? Und was sind eigentlich seine Vor- und Nachteile?
Der Ursprung des Reetdachs
Es wird vermutet, dass Häuser in Europa schon seit mehr als 7.000 Jahren mit Reet gedeckt werden. Aber auch auf anderen Kontinenten wie Afrika und Asien kommt die naturbelassene Dacheindeckung schon lange zum Einsatz. Doch anstatt mit Reet wurden Häuser im asiatischen Raum traditionell mit Reis gedeckt, welcher ebenfalls zu den mittleren bis hohen Gräsern gehört. Hierzulande, insbesondere im Norden Deutschlands, werden noch immer im großen Stil Dächer mit Reet gedeckt, weswegen die enorme Nachfrage nicht vollständig mit Reetbeständen aus den hiesigen Regionen abgedeckt werden kann.
Was ist eigentlich Reet?
Es ist nur wenig verwunderlich, dass Häuser schon seit einigen Jahrtausenden mit Reet (auch Riet oder Schilfrohr genannt) gedeckt werden. Das Naturmaterial gilt als robust, langlebig und gut verfügbar. Gerade im Norden Deutschlands konnte Schilf optimal aus den nahegelegenen Sumpfgebieten der Küstenregionen bezogen werden. Ähnlich wie Gerste, Hafer, Roggen oder Weizen zählt es zu den Süßgräsern. Nachdem die eigentliche Pflanze mit dem ersten Frost meist abgestorben ist, wird das Schilf im Winter geerntet. Die dann blattlosen Halme färben sich gelb bis goldbraun und sind nach spätestens einem Jahr ausgesprochen biegsam. Damit bringen sie die ideale Qualität zum Eindecken eines Daches mit. Wird ein Reetdach gut gepflegt und regelmäßig gewartet, kann es bis zu 100 Jahre halten.
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Warum gibt es das Reetdach vor allem im Norden?
Streift man den Norden, dauert es meist nicht lang und ehe man noch das Meer und den Strand sieht, ragen bereits erste Häuser ikonisch hervor. Deutlich erkennbar an der markanten Dacheindeckung aus Reet. Was in ebenjenen Regionen fest zum Landschaftsbild gehört, sucht man in weiten Teilen Deutschlands eher vergeblich. Nur selten entscheiden sich Bauleute anderer Gegenden für eine solche Dacheindeckung. Dafür gibt es Gründe: Gerade im eher waldarmen Norddeutschland konnte sich Reet besonders gut etablieren. Was es in Küstenregionen dagegen früher wie heute viel gibt, ist widerstandsfähiges Schilfrohr. Der naturbelassene Baustoff trotzt damit fast mühelos den teils rauen Witterungsverhältnissen des Nordens mit heftigen Wind- und Regenkapriolen.
Bis ins Mittelalter hinein gab es Reetdächer auch noch in den Städten, doch mit der Zeit wurde es immer seltener als Dacheindeckung genehmigt. Mit zunehmender Besiedelung und damit einhergehend einer engeren Bebauung galt das leicht entzündliche Naturmaterial als Risikofaktor. Und so verschwand es allmählich auch aus den ländlichen Regionen und ist schließlich heute überwiegend nur noch im Küstenraum zu finden.
Ausschlaggebende Faktoren: Brandschutz und Haltbarkeit
Ausschlaggebend bei der Entscheidung für ein Reetdach sind vor allem zwei Aspekte: Brandschutz und Haltbarkeit. Immerhin handelt es sich hierbei um eine naturbelassene Dacheindeckung. Entsprechend kann es immer wieder mal dazu kommen, dass ein Reetdach von einem Biofilm also Algen, Flechten oder Moos befallen wird. Diese sind per se nicht schädlich für die Halme, verhindern allerdings den Luftaustausch. Allmählich staut sich die Feuchtigkeit und es kommt zum Verfaulen des Daches. Daher sollte ein Reetdach regelmäßig, am besten einmal jährlich, gründlich inspiziert und gereinigt werden. Außerdem muss ein Reetdachhaus einen Neigungswinkel von mindestens 45 Grad haben, damit Wassermassen schnell abfließen können und das Reet nicht unnötig lang der Feuchtigkeit ausgesetzt ist.
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Und auch Feuer gilt als natürlicher Feind eines Reetdachs. Entsprechend sind Feuerwerkskörper, Blitzeinschläge oder Brandstiftung zentrale Risikofaktoren. Vorbeugend sind hier moderne Konstruktions- und Materialvorschriften, die so ausgerichtet sind, dass im Falle eines Brandes genügend Zeit bleibt, das Haus zu verlassen. Ortsansässige Feuerwehren sind oftmals auch speziell für Reetdachbrände ausgebildet.
Vorteile eines Reetdachs
Aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit aus einem nachwachsenden Rohstoff gilt ein Reetdach als äußerst ökologisch. Als Baustoff wird Schilfrohr vor allem für seine Elastizität, Trag- und Widerstandsfähigkeit – gerade auch bei extremen Witterungsverhältnissen – geschätzt. Weil die Halme in der Lage sind, in ihrem Inneren Luft einzuschließen, eignet sich Reet nicht nur optimal zur Dacheindeckung, sondern auch als Dämmstoff und Schallschutz. Alle diese Faktoren sorgen für ein angenehmes Raumklima, für das Reetdachhäuser bekannt sind. Und schließlich ist es auch die außergewöhnliche Optik, die eine solch natürliche Dacheindeckung mit sich bringt und so neben klassischen Varianten deutlich heraussticht.
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Nachteile eines Reetdachs
Neben all den Vorteilen, hat ein Reetdach aber auch so seine Nachteile. Denn: Extravaganz hat seinen Preis. Nicht nur in der Anschaffung, auch Wartungs- und gegebenenfalls Reparaturkosten schlagen teuer zu Buche. Aufgrund der erhöhten Brandgefahr muss in puncto Versicherung ebenfalls tiefer ins Portemonnaie gegriffen werden. Bei ungenügender Pflege kann sich das Bestehen eines solchen Daches deutlich verkürzen. Außerdem sind Anbau und Ernte von Schilf aus Gründen des Naturschutzes limitiert, weswegen der Importhandel boomt. Es werden Qualitäten aus den benachbarten Niederlanden, Osteuropa und sogar China bezogen, was entsprechend für eine schlechte CO2-Bilanz sorgt.