16. Dezember 2021, 13:56 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Warum tragen kleine Mädchen Rosa und Jungs Blau? Warum werden auch Spielzimmer nach dem Muster eingerichtet und Spielzeuge nach den Farben ausgesucht? myHOMEBOOK hat mit einem Wissenschaftler gesprochen.
Rosa oder Blau? Babys und Kleinkinder werden oftmals nach ihrem Geschlecht unterschiedlich farblich gekleidet. Mädchen werden eher mit rosafarbenen Strampelanzügen ausgestattet, Jungs tragen zumeist Himmelblau. Aber warum ist das heute noch immer so? Früher scheint die Farbverteilung andersrum gewesen zu sein.
Axel Buether ist Professor für visuelle Kommunikation an der Bergischen Universität zu Wuppertal (Nordrhein-Westfalen). Er forscht zur Wahrnehmung von Farben und leitet das „Deutsche Farbenzentrum“. Buether erklärt: „Farben überhaupt zu erkennen, ist Hocharbeit. Das menschliche Gehirn verwendet für die Farbwahrnehmung rund 60 Prozent der Leistung. Je bunter es wird, desto mehr Kraft muss aufgewendet werden. Denn mit jeder Farbe werden viele weitere Informationen verarbeitet.“ Das war schon in Urzeiten der Fall, als Farben als überlebenswichtig galten, Sprache aber noch weit entfernt war. Wie giftig oder nahrhaft ist das Essen? Ist das Tier gegenüber gefährlich? Aber auch: Was meint mein Gegenüber vor mir – ist er oder sie rot vor Wut oder grün vor Neid? Buether sagt, hinter unserer Farbwahrnehmung stecken biologische Funktionen. „99 Prozent an Farben nehmen wir unbewusst auf.“
Und sie können knallen: Farben lösen extreme Gefühle aus. Manche Farben schrecken ab, andere wirken anlockend. „Bin ich sexuell attraktiv? Bin ich krank?“ Ohne ein einziges Wort vermitteln Farben Signale, die überlebenswichtig sind. Buether nennt ein Beispiel: Männliche Pfauen tragen stolz einen besonders bunten Federschmuck. Das ist eigentlich unvorteilhaft in der Natur. Denn sie könnten so schnell Opfer von Fressfeinden werden. Das scheint jedoch egal zu sein, wenn es um die Fortpflanzung geht.
Rosa bei Mädchen – und bei Jungs?
Farben wirken unmittelbar und eben ohne Worte. Dass sich die Wirkung von Farben aus der Natur ableitet, wissen hingegen die wenigsten. Blau, beispielsweise, wird oftmals mit Tugend und Keuschheit in Verbindung gebracht. Blau erzeugt auch ein Gefühl von Offenheit und Vertrauen, sagt Buether. „Da muss man nur in den offenen Himmel schauen.“
Gefärbte Kleidung war zu früheren Zeiten eine Kostbarkeit, die meisten Menschen trugen jedoch ungefärbte Kleidung. Wer normal, also arm war, ging wortwörtlich in Sack und Leinen. Mit etwas mehr im Geldbeutel trug man Farbe zur Schau. Das frühere Luxussymbol in Farbe ist heutzutage eher verpönt. Denn bunt gilt nun oftmals als grell, vulgär und aufdringlich. Ganz anders jedoch früher. Vor allem eine Farbe scheint richtig Eindruck gemacht zu haben. „Als dann gefärbte Kleidung aufkam, war diese meistens Blau“, so Farbexperte Buether.
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Farben bei Jobbewerbung
Grau, Schwarz, Dunkelblau, das sind die Kleidungsfarben, die nach wie vor in vielen Betrieben Kraft und Strenge verdeutlichen. Sich in konservativen Farben zu kleiden, birgt mitunter Vorteile im Beruf. Jedoch nicht immer. Buether sagt, man könne sich in einem Bewerbungsgespräch mit „weicheren“ Farben durchaus anders darstellen. Der Farbpsychologe: „Bei der Bewerbung für einen neuen Job können gerade diese Farben bei der Kleidung einen lockeren, offeneren Eindruck machen: Rosa, Gelb, Malven- und auch Orangentöne.“ Und wie es bei Erwachsenen ist, können Farben auch bei Kindern eine große Rolle spielen.
Rosa bei Mädchen wirkt ähnlich wie bei Jungs
So sei die farbliche Rollenverteilung bei kleinen Kindern noch nicht so stark ausgeprägt. Rosa beispielsweise macht auf Mädchen einen ähnlich starken Eindruck wie auf Jungs. Jungs „entfärben“ sich mit der Zeit allerdings, zum Beispiel auf dem Schulhof, wo Rosa als verweichlicht gelte. Buether fordert: „Kinder sollten ihre Farbe einfach ausprobieren. Wer Rosa oder Blau mag, das ist okay und keine natürliche Setzung.“
Warum Kleinkinder in unterschiedlichen Farben gekleidet werden, ist in der Wissenschaft noch immer umstritten. Fakt ist: Zumeist gilt bei Eltern für Mädchen die Farbe Rosa als gesetzt. Bei Jungs ist es oftmals noch immer Himmelblau. Zu früheren Zeiten muss das anders gewesen sein. Noch vor einhundert Jahren trugen Mädchen ihre Kleider zumeist in Blau. Währenddessen habe Jungs eher rosafarbene Kleidung getragen.
Das „mildere Rot“ bei Jungs
Warum? Rosa galt als das mildere Rot, das sogenannte „Kleine Rot“. Rot ist schlechthin eine starke Signalfarbe, oftmals mit Stärke und Männlichkeit verbunden. So scheint – nach einer Theorie – die Farbe Rot in kriegerischen Zeiten viele Menschen in einer heroischen Verblendung an die Verwundungen der Heimkehrer aus dem Krieg erinnert zu haben. Irre, aber wahr: Viele Kleidungsstücke mit dem „Kleinen Rot“, also Rosa, wurden in damaligen Zeiten für Buben im Handel angeboten. Himmelblau galt hingegen als ein Zeichen der Milde. Und das wurde eher Mädchen zugesprochen, passte also in das gesellschaftliche Korsett früherer Zeiten.
Wann sich die Farbe für die Geschlechter umkehrte
Ganz klar ist es nicht, ab wann kleine Mädchen überwiegend rosafarben und Jungs eher in Blau gekleidet wurden. Die Wissenschaft brütet noch immer über dieser Frage. Die Ansätze der Geschlechterforscher sind teilweise kurios. Eine These: Matrosen, Handwerker und Arbeiter haben in vergangenen Zeiten oftmals Arbeitskleidung in Blau getragen. Die Farbe solle nach Meinung der Forscher mit Berufen in Verbindung stehen, die eher Männer ausgeführt haben. Letztlich also mit Männlichkeit.
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Machte Barbie die Kleidung für Mädchen Rosa?
1959 kam die erste Barbie-Puppe auf den Markt. Die pinke Puppe war weltweit schnell ein Verkaufsschlager. Eine weitere These der Forschung: Womöglich könnte auch Barbie dazu beigetragen haben, dass Mädchen gerne Rosa tragen. Oder ihnen die „weiche“ Farbe zugesprochen wird. Buether sagt jedoch, wer gerne ein rosafarbenes Kleid tragen möchte, super! „Vorurteile sollte man abbauen. Möchte ein Mädchen etwas in Rosa tragen – ist das doch klasse. Es gehört zum Heranwachsen dazu, dass man mit Geschlechterrollen spielt. Das sollten Eltern einfach mal zulassen. Während der Pubertät wechseln Kinder oftmals den Geschmack für Farben. Viele Mädchen entfärben sich in dieser Zeit. Jungs möchten sich hingegen mehr Farbe trauen, die offen und kommunikativ wirkt. Das sollte man als Elternteil immer unterstützen.“