26. März 2020, 17:18 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Corona ist momentan Thema Nummer eins – wenn nicht sogar das einzige Thema. Trotzdem gibt es immer noch Tabus. Spreche ich einen Nachbarn an, bloß weil er hustet?
Langsam gewöhnen wir uns daran, im alltäglichen Leben 1,50 Meter Abstand voneinander zu halten. Aber nicht überall kann man sich wirklich aus dem Weg gehen. Auf der Arbeit, in der Wohngemeinschaft oder mit dem Nachbarn im Fahrstuhl kommt es immer wieder zu intimeren Situation. Und dann passiert es: einer hustet! Darf ich eigentlich ganz offen fragen, ob der Huster eine Covid-19-Infektion hat? Oder überschreite ich damit Grenzen der Privatsphäre? Im Interview mit myHOMEBOOK erklärt Kommunikationsexperte Moritz Freiherr Knigge, wie man sich höflich durch diese schwierigen Corona-Zeiten bewegt.
Nachgefragt bei Moritz Freiherr Knigge Wie werde ich ein guter Gastgeber?
Der höfliche Umgang mit Corona – Interview mit Moritz Freiherr Knigge
myHOMEBOOK: Nach mehreren Tagen Home-Office und #stayHome wird es langsam einsam. Kann man unter den aktuellen Umständen noch eine Einladung zu einem privaten Abendessen im kleinen Kreis aussprechen?
Moritz Freiherr Knigge: Wenn der kleine Kreis aus zwei Personen besteht, dann spricht weder aus Frau Merkels noch aus Kniggescher Sicht etwas dagegen. Wenn der Kreis aus mehreren besteht empfehle ich virtuelle Zusammenkünfte via Face-Time und Co. Macht weniger Spaß als in echt. Aber digitales von Angesicht zu Angesicht ist definitiv besser als ohne Mitmenschen.
Überall wird gerade darauf hingewiesen, dass man mindestens 1,50 Meter Abstand voneinander halten soll. Manche Leute im Supermarkt oder in den Öffentlichen Verkehrsmitteln scheinen aber extra näher zu rücken. Soll ich mich selbst zurückziehen oder den Anderen auf das angemessene „Social Distancing“ hinweisen?
Wer bewusst den gegenwärtig gebotenen Abstand von 1,50 Meter verstösst, dem darf man nicht nur, den sollte man freundlich aber bestimmt darauf hinweisen, dass mehr Distanz und weniger Nähe geboten ist. Im gegenseitigen Interesse und bestmöglichem Einvernehmen.
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Wie sagt man es am besten ohne die andere Person zu beleidigen?
Der Ton macht auch in Coronas Zeiten die Musik. Wer andere beleidigt, der zerstört in Friedens- und in Krisenzeiten auch das vernünftigste Anliegen. Außerdem sollte niemand in diesen bewegten Zeiten als krakelende Virenschleuder auftreten. Was bei lautstarken Wortgefechten meist unvermeidlich ist und gegenwärtig voll daneben.
Folgende Situation: Ich stehe im Aufzug meines Wohnhauses. Der Nachbar neben mir hustet heftig. Darf ich ihn fragen, ob er sich auf Corona testen lassen hat?
Zunächst möchte ich alle Ihre Nachbarn mit heftigem Husten bitten nur alleine Aufzug zu fahren. Wer nicht auf mich hört, stand gerade mit Ihnen im Aufzug und hat hoffentlich wenigstens in die Armbeuge gehustet. Falls nicht, sollten sie ihn zunächst fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank und alle Latten am Zaun hat. Falls Sie und er dann noch die nötige Ruhe haben, können Sie ja den Corona-Test ins Spiel bringen.
Ich fühle mich selbst leicht erkältet. Es gibt aber keine offensichtlichen Anzeichen einer Covid-19 Infektion. Soll ich zur Arbeit gehen, wo gerade alle sowieso überlastet sind oder lieber vorsichtshalber aber mit schlechtem Gewissen zu Hause bleiben?
Was ist heute schon eine leichte Erkältung? Gerade ob seiner bisweilen minimalen Symptome ist das Corona-Virus ja so gefährlich. Gehen Sie nur zur Arbeit, wenn es keine Home-Office-Möglichkeit gibt oder Sie in einem systemrelevanten Beruf arbeiten. Wenn schon Mobilfunkanbieter auf dem Smartphone mit dem Hashtag #StayHome aufwarten, ist jede eigene oder fremde Gefährdung unnötig.
Die 90-jährige Oma möchte unbedingt besucht werden. Sie sagt: „Sterben tu ich sowieso! Dann bitte nicht an Einsamkeit.“ Soll man ihrem Wunsch nachgeben oder lieber gerade konsequent sich von älteren Menschen, die zur Risikogruppe gehören fern halten?
Knigge: Man kann ja besuchen und sich trotzdem fern halten. Man kann aber auch mit Omas telefonieren und sogar Face-Timen. Geht alles. Aber ja, das Schlimme an Corona ist tatsächlich der erzwungene Verzicht auf das Schönste, was es gibt in diesem Leben: Die Freude an der Begegnung mit Menschen.
Was ist ihr persönlicher Tipp, wie wir uns jetzt am besten (mental) durch die Krise bewegen?
Drei Tugenden erscheinen mir gerade besonders sinnvoll. Achtsamkeit: Für uns und andere, weil Corona keine Erkältung ist. Gelassenheit im Umgang mit unseren Ängsten und denen anderer. Weil selten die Ängste töricht sind sondern höchstens unser Umgang mit Ihnen. Humor: Weil es immer was Lachen gibt, auch wenn es nichts zu Lachen gibt. Humor ist beste Medizin, weil Humor Distanz schafft. #CoronaStayHome