24. November 2021, 16:45 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Auch auf dem eigenen Grundstück herrscht keine Narrenfreiheit. Zumindest muss man beim Thema Grenzbebauung darauf achten, was man wohin baut. Was sollte man dabei beachten?
Viele kennen noch den alten Werbespot der Allianz Versicherung, in dem herüberhängende Kirschbaumäste zu Nachbarschaftsstreitigkeiten führten. Letztendlich geht es um Rücksichtnahme unter Nachbarn, die der Gesetzgeber im Auge hatte. Wie weit muss man nun als Nachbar im wahrsten Sinne Rücksicht beziehungsweise Abstand nehmen, wenn man auf seinem Grundstück bauen möchte? Und benötigt man dazu die Erlaubnis seines Nachbarn? Diese und andere Fragen beantwortet Diplom-Jurist Göran Ruser in unserem Rechtsratgeber zum Thema „Grenzbebauung“.
Übersicht
Was bedeutet „Grenzbebauung“?
Eine Grenzbebauung liegt dann vor, wenn Ihr Grundstücksnachbar ein Bauwerk errichtet, ohne dabei die gesetzlich festgelegten Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze einzuhalten. Die Regelungen zu Grenzbebauungen dienen demnach dem Schutz des jeweiligen Eigentümers und sind folglich in den Bauordnungen aller Bundesländer gesetzlich verankert. Denn schließlich möchte niemand eine 10 Meter hohe Hauswand vom Nachbarn direkt neben seiner Terrasse stehen haben. Schon gar nicht, wenn das Gebäude große Schatten wirft und dessen Fenster einen direkten und indiskreten Blick in die eigenen Schlafgemächer erlauben.
Die Landesbauordnungen sind in gewissem Rahmen unterschiedlich geregelt. Dennoch darf man sich als Standardgröße 3 Meter Abstand zum Nachbargrundstück einprägen. Die exakte Spanne des Mindestabstandes beträgt 2,5 bis 3 Meter.
Worauf müssen Sie noch achten, wenn Sie vorhaben, dem Nachbarn mit baulichen Veränderungen etwas mehr „auf die Pelle zu rücken“? Zum einen ist zu beachten, dass entlang der kompletten Wandlänge oder Fassadenbreite die geltende Anstandsfläche einzuhalten ist. Die Abstandsfläche muss dabei zu Ihrem eigenen Grundstück gehören. Ausnahmen bestehen, wenn es sich bei den angrenzenden Grundstücken um öffentliche Plätze oder Straßen handelt. Der Mindestabstand der Abstandsfläche bemisst sich ansonsten nach der Gebäudehöhe. Nachdem der Vermessungsingenieur die exakte Höhe berechnet hat, muss er sie noch mit einem Faktor von 0,25 bis 1,0 multiplizieren. Zur Höhe werden außerdem Dachflächen mit einem Viertel beziehungsweise einem Drittel hinzugerechnet, wenn der Neigungswinkel unter 70 Grad beträgt.
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Muss der Nachbar den Abständen zustimmen?
Wenn Sie sich beim Gebäudebau vorbildlich an die geltende Landesbauordnung Ihres Bundeslandes und somit gleichzeitig an die zulässigen Abstandsregeln halten, ist ein Einverständnis Ihres Nachbarn nicht extra erforderlich. Denn in dem Fall liegt keine Grenzbebauung vor. Anders sieht es dann aus, wenn Sie den eigentlich vorgesehenen Abstand nicht einhalten wollen oder nicht einhalten können.
Grundsätzlich ist im Falle einer Grenzbebauung zu empfehlen, das Gespräch mit dem betroffenen Nachbarn zu suchen und ihn über das Bauvorhaben zu informieren. Ist dieser mit der Grenzbebauung einverstanden, dürfen Sie mit der Arbeit loslegen. Immer vorausgesetzt, für Ihr Bauvorhaben ist entweder keine Baugenehmigung erforderlich oder das zuständige Bauamt hat eine solche bereits erteilt.
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Welche Ausnahmen gibt es dabei?
Ausnahmen gelten beim Bau von Garagen, Carports oder Gartenhäusern. In diesen Fällen ist die Grenzbebauung möglich, sofern man die jeweils zulässigen Maße wie Wand- und Seitenlänge berücksichtigt. Als Normwert gilt hier eine Wandhöhe von 3 Meter und eine Seitenlänge von maximal 9 Meter beziehungsweise eine Wandfläche von insgesamt rund 25 Quadratmeter.
Des Weiteren benötigen Sie keine Zustimmung Ihres Nachbarn, wenn Sie als Bauherr aufgrund von Baulinien eine Grenzbebauung vornehmen müssen. Ein Einverständnis benötigen Sie wiederum dann, wenn Sie zwar eine grundsätzlich zulässige Grenzmauer ziehen, diese jedoch den Nachbarschutz unverhältnismäßig beeinträchtigt.
Vielleicht haben Sie aber auch Glück, und Ihr Nachbar wird bei einem eher heiklen Bauvorhaben schlicht übergangen. Auch das kann dann passieren. Nämlich, wenn er nach einer Benachrichtigung über eine zu erteilende Baugenehmigung innerhalb von vier Wochen keine persönliche Stellungnahme abgibt. Schweigt Ihr Nachbar also, erteilt die Baubehörde auch ohne dessen Zustimmung die gewünschte Baugenehmigung!
Was kann man gegen illegale Grenzbebauung tun?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass man als Bauherr keinesfalls einfach drauflosbauen sollte. Vorschriften zur Grenzbebauung wurden aus gutem Grund eingeführt, da sie in erster Linie die Privatsphäre des Eigentümers schützen und somit zur nachbarschaftlichen Harmonie beitragen. Daneben soll neben Brandschutz auch ausreichend Sonnenlicht ermöglicht und für genügend Belüftung gesorgt werden. Wer dennoch gegen das Baurecht verstößt und Grenzabstände nicht einhält, riskiert drastische Sanktionen.
Wenn Sie sich wegen Grenzbebauung gegen einen Nachbarn und dessen Schwarzbau wehren wollen, können Sie rechtliche Schritte einleiten. Folgt die Behörde Ihren Angaben und Ausführungen, drohen dem Verursacher durch die Baubehörde weitreichende Verfügungen wie Nutzungsuntersagung, Stilllegung oder Geldbußen. Unter Umständen muss der Schwarzbauer einen teilweisen oder sogar den kompletten Abbruch des Gebäudes hinnehmen. Auf zivilrechtlicher Ebene besteht für Sie als Geschädigten die Möglichkeit einer Unterlassungsklage oder eines Schadensersatzanspruches gegen Ihren Nachbarn.
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Wichtige Urteile zur Grenzbebauung
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte zu entscheiden, ob ein Nachbar beim Bau seines Carports zu nah an die Grundstücksfläche gebaut hatte, nachdem eine unzulässige Seitenlänge von 9 Metern überschritten wurde. Obwohl der Carport über keine Seitenwände im physischen Sinn verfügt, müssen Seitenwände in einem solchen Fall fingiert, also hinzugedacht werden. Weiter heißt es in dem Urteil, dass nach dem Schutzzweck der abstandsflächenrechtlichen Bestimmungen auch bei Gebäuden ohne abschließende Wände vor den offenen Gebäudeseiten unbedingt Abstandsflächen einzuhalten seien.
Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe (BGH) durften Hauseigentümer an die Außenwand ihres Hauses auf der Grundstücksgrenze keinen zusätzlichen Dämmschutz mehr anbringen, da dieser 7 Zentimeter über die Grenze hinausragen würde. Begründet wurde dies mit den zur Zeit des Hausbaus bereits geltenden Vorschriften zum Dämmschutz, die der Bauherr nicht bedacht hatte.