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Philip Beckmann im Interview

Tado-Chef über Ausbau von smarten Stromzählern in Deutschland: „Eine totale Schande!“

Philip Beckmann Tado
Philip Beckmann ist seit August 2023 CEO von Tado – zuvor war er bei E.ON Mitglied der Geschäftsführung Foto: Tado

15. Juli 2024, 14:47 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Seit August 2023 ist Philip Beckmann CEO von Tado – einem Unternehmen aus München, das mittlerweile europäischer Marktführer im Bereich smarter Raumklimasteuerung ist und seit Frühjahr 2024 in Deutschland auch dynamische Stromtarife anbietet. Im Interview mit myHOMEBOOK spricht Beckmann über die Rolle der Heizung für den Familienfrieden, die möglichen Einsparungen beim Energieverbrauch durch intelligente Lösungen und das deutsche „Desaster“ beim Ausbau von smarten Stromzählern.

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myHOMEBOOK: Herr Beckmann, Sie sind von einem sehr traditionellen Unternehmen wie E.ON zu Tado gewechselt – einem Unternehmen, das im 13. Jahr noch immer keine schwarzen Zahlen schreibt. Wann soll das endlich geschehen?
Philip Beckmann
: „Das steht auf unserem Zettel. Wir sind auf einem sehr guten Weg und investieren weiter stark in unser Wachstum. Unser Ziel ist es, noch in diesem Jahr in unserem Kerngeschäft mit smarten Thermostaten und der Heizungssteuerung profitabel zu sein. Gleichzeitig investieren wir aber auch in schnell wachsende Bereiche wie dynamische Tarife.“

Bekannt geworden ist Tado mit smarten Thermostaten. Die gibt es mittlerweile von vielen Anbietern. Vorteil bei etwa Bosch oder AVM ist aber ihr Zusammenspiel mit anderen Smart-Home-Geräten. Warum sollten Kunden Tado wählen?
„Wir haben bereits 2013 smarte Heizungssteuerungen auf den Markt gebracht und sind inzwischen europäischer Marktführer. Wir können fast jedes Heizungssystem mit unseren Produkten steuern und haben ein besonders einfaches User-Interface. Unsere App ist mehrfach preisgekrönt. Natürlich nehmen die Kunden gerne die 20 Prozent Einsparung in Anspruch, aber sie wünschen sich dabei auch Komfort.“

Tado-CEO Philip Beckmann: „Wenn die Heizung nicht richtig funktioniert, ist Familienstreit vorprogrammiert“

Inwiefern?
„Ich habe es selbst erlebt: Wenn die Heizung nicht richtig funktioniert, ist Familienstreit vorprogrammiert. Häufig sind es leider immer noch Männer, die die smarten Thermostate anbringen, und es sorgt für viel Krach, wenn sie nicht einwandfrei funktionieren.“

Bei Tado funktioniert es doch sicher auch nicht immer einwandfrei …
„Tado hat in den vergangenen zehn Jahren in 20 Ländern bewiesen, dass unsere Kunden im Schnitt 22 Prozent an Heizkosten einsparen. Wir sind, wie erwähnt, europäischer Marktführer – und das nicht ohne Grund. Wir haben vier Millionen steuerbare Geräte in den Haushalten und erweitern unsere App kontinuierlich. Dabei können wir alle Systeme steuern, sowohl moderne Wärmepumpen als auch alte Gasboiler. Namhafte Wettbewerber bieten zwar auch ordentliche Qualität, aber so wie wir macht das keiner. Vorsichtig wäre ich bei No-Name-Anbietern aus China.“

Heizung, Licht, Rollläden, Steckdosen – sind die Kunden irgendwann nicht überfordert, wenn sie für alles eine App benötigen?
„Ich habe auch diverse Steuerungen bei mir im Haus. Ich glaube aber nicht, dass es darauf hinausläuft, dass es am Ende nur noch eine App gibt, die alles im Haushalt steuert. Das wird nicht funktionieren – und ist aus unserer Erfahrung auch für den Kunden nicht zielführend bei all den verschiedenen Steuerungsmöglichkeiten zu Hause.“

Das ist eine ernüchternde Prognose …
„Wir sehen uns eben nicht als Smart-Home-Anbieter, sondern geben unseren Kunden Transparenz über Energieverbrauch und -kosten und bieten sämtliche Möglichkeiten, sie zu steuern und zu senken.“

Bei einem durchschnittlichen Familienhaushalt mit 130 Quadratmeter Wohnfläche versprechen Sie rund 400 Euro Einsparung im Jahr …
„400 Euro Ersparnis für eine Beispielfamilie – das ist eigentlich ein super Fall. So amortisieren sich die Anschaffungskosten bereits innerhalb des ersten Jahres. Warum machen das nicht mehr Leute, fragt man sich? Angenommen, wir verbinden das noch mit einer Wärmepumpe und einem dynamischen Stromtarif, dann kann sich das Einsparpotenzial von 20 Prozent sogar auf deutlich mehr als 30 Prozent erhöhen.“

Passend dazu: Dynamischer Stromtarif von Tado soll hunderte Euro pro Jahr sparen – aber es gibt einen Haken

Um den ganzen Komfort der automatischen Steuerung der Thermostate und Wärmepumpen-Optimizer zu nutzen, benötigt man zusätzlich aber Abos, die derzeit bei 29,99 Euro und 49,99 Euro pro Jahr liegen. Könnte es sein, dass Sie mit dem Preis irgendwann raufgehen?
„Aktuell reden wir bei den Hardwarekosten, also den smarten Thermostaten, der Steuerung und dem Wärmepumpen-Optimierer X, von wenigen 100 Euro Hardwarekosten, die nach einem Jahr amortisiert sind. Wenn man wirklich alle optionalen Optimierungsmöglichkeiten nutzen will, fallen jährliche Gebühren von etwa 80 Euro an. Die Logik bei uns ist: Unser Kunde spart immer ein Vielfaches seiner Investition. Preissteigerungen würden bei uns voraussetzen: noch mehr Einsparungen für den Kunden.“

»Das Auto laden und am Ende Geld damit verdienen

Sie haben bereits die dynamischen Stromtarife erwähnt, die Tado seit Mai dieses Jahres auch in Deutschland anbietet. Erklären Sie uns bitte in einfachen Worten, wie diese Tarife funktionieren?
„Die meisten Haushalte beziehen Energietarife zu einem festen Preis pro Kilowattstunde. Bei einem dynamischen Stromtarif variiert der Preis stündlich. Das heißt: Er bleibt nicht die ganze Zeit bei 35 Cent, sondern kann deutlich schwanken und sogar negativ werden. Es kann also vorkommen, dass man das Auto lädt und am Ende Geld damit verdient.“

Das klingt paradox …
„Bis vor Beginn des Ukrainekrieges war das auch eher selten, etwa zehn bis 30 Stunden im Jahr. In diesem Jahr gab es bereits 200 Stunden mit negativen Strompreisen. 2023 waren es über das ganze Jahr gesehen 300 Stunden. Das liegt daran, dass immer mehr günstige erneuerbare Energie im Netz ist. Das führt zu sehr niedrigen oder eben negativen Preisen. Und man nutzt dann wirklich grünen Strom.“

Dynamische Stromtarife
„Dynamische Tarife sind aktuell ein heißes Thema“, weiß Holger Schneidewindt, Referent für Energierecht bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Die Tarife sind an den Großhandelsmarkt für Energie gekoppelt. Hier sind die Preise sehr volatil“, erklärt der Experte auf myHOMEBOOK-Anfrage. Gehandelt werden diese entweder im Viertelstunden- oder Stundentakt. „Hier kann es hoch- und runtergehen“, sagt Schneidewindt.

Wer regelmäßig mithilfe von Preisvergleichsrechnern den Tarif wechselt, kommt mit einem klassischen Tarif aber auch sehr günstig weg …
„Ein dynamischer Tarif ist auch ohne Lastverschiebung mittelfristig günstiger als ein Fixtarif. Das zeigen Untersuchungen in verschiedenen Ländern. Das liegt daran, dass keine Risikomanagementgebühren anfallen, die bei großen Energieversorgern entstehen, wenn sie ein oder zwei Jahre im Voraus für den Kunden einkaufen. Das Einsparpotenzial rangiert zwischen 10 und 35 Prozent, je nachdem, ob beispielsweise auch eine Wärmepumpe oder Wallbox vorhanden ist.“

Wem würden Sie von dynamischen Tarifen eher abraten?
„Da der dynamische Tarif zeitweise auch teurer sein kann, würde ich ihn niemandem empfehlen, der absolut auf stabile Kosten angewiesen ist. Darum ist er eher für Haushalte geeignet, die auch mal einen höheren Monatsbetrag verkraften können und wissen, dass es insgesamt günstiger ist. Grundsätzlich ist der Tarif besonders für diejenigen interessant, die ihre Lasten, also den Verbrauch, flexibel gestalten können über ihre Wärmepumpe oder die Wallbox.“

Wie ist die Bilanz mit den dynamischen Stromtarifen nach den ersten Wochen?
„Zahlen kann und möchte ich jetzt noch nicht nennen. Die erste Bilanz ist grundsätzlich positiv. Das Echo ist sehr gut, und es läuft gut an, aber es könnte noch viel besser laufen angesichts des tollen Einsparpotenzials. Wir sehen, dass das Thema in Deutschland noch viel zu wenig bekannt ist.“

»Smart Meter und dynamische Tarife sind das fehlende Puzzleteil zu den erneuerbaren Energien

Hinzu kommt, dass man für die Nutzung des Tarifs auch einen Smart Meter benötigt, also einen intelligenten Stromzähler, der den Energieverbrauch in Echtzeit erfasst und drahtlos an den Energieversorger übermittelt.
„Die Smart-Meter-Durchdringung in Deutschland ist ein Desaster. In Österreich haben heute knapp 70 Prozent der Haushalte smarte Stromzähler, in Deutschland sind es nur etwa 1,5 Prozent. Das ist eine totale Schande! Genau dieser Ansatz mit Smart Metern und dynamischen Tarifen ist das fehlende Puzzleteil zu den erneuerbaren Energien. Ich werde nie Kohle- und Gaskraftwerke loswerden, wenn ich den Kunden nicht helfe, ihren Energieverbrauch zu flexibilisieren.“

Mehr dazu: Digitale Stromzähler sollen ab 2025 Pflicht werden

Was sind die Gründe dafür, dass es so wenige Smart Meter in den Haushalten gibt?
„Unsicherheit und Komplexität. Ich muss meinen Messstellenbetreiber kontaktieren – häufig der regionale Netzbetreiber – oder einen anderen Dienstleister. Etwa 40 Prozent der Netzbetreiber sind dabei hilfreich, aber 60 Prozent haben noch sehr langsame Prozesse, um Smart Meter zu installieren.“

Wer ist schuld: Konsumenten, Regierung, Netzbetreiber, Stromanbieter oder alle?
„Schuld ist im Kern die Bundesregierung mit einer totalen Komplexität an Anforderungen. Wir haben jahrelang an der Technologie gebaut, um dann nach acht Jahren festzustellen, dass sie sich inzwischen komplett geändert hat und man wieder von vorn anfangen muss. Im Fokus stand Datensicherheit, nicht Effektivität. Es ist nicht grundsätzlich mangelnder Wille von Netzbetreibern oder Energieversorgern oder Messstellenbetreibern. Und da sind wir auch schon wieder beim nächsten Punkt: Die meisten Kunden kennen zum Beispiel nicht den Unterschied zwischen einem Stromanbieter und einem Netzbetreiber. Und dann führt die Bundesregierung vor zehn Jahren noch einen dritten Akteur ein: den Messstellenbetreiber, der nicht zwangsläufig einer von den Erstgenannten sein muss. Wer blickt da noch durch?“

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»Wir können die Energiewende günstiger, schneller und einfacher machen

Was ist Ihre Botschaft an Herrn Habeck?
„Wir können die Energiewende viel günstiger, schneller und einfacher machen. Ich habe das mal durchgerechnet. Wenn über Nacht jeder Haushalt eine smarte Heizungssteuerung hätte und damit den Verbrauch um 20 Prozent senken könnte, dann würden wir schon Dimensionen erreichen, für die ich sonst wahrscheinlich zwei neue Kraftwerksblöcke mit Gas bräuchte. Und das muss Herr Habeck nicht mal subventionieren. Wenn es eine Möglichkeit gibt, als Haushalt 400 Euro im Jahr zu sparen, und dafür 300 Euro einmalige Kosten habe, muss ich es im Grunde nur publik machen.“

Was müsste die Regierung Ihrer Ansicht nach konkret tun?
„Die Förderung vereinfachen. Als plötzlich alle dachten, sie müssten zwingend Wärmepumpen installieren, gab es eine große Verunsicherung. Das ist immer schlecht. Ich bin seit 25 Jahren in der Energiebranche und verstehe eine ganze Menge. Aber als ich mir eine PV-Anlage aufs Dach gebaut habe und diese mit Wärmepumpe und Steuerung kombinieren wollte, habe ich mir die Finger wund telefoniert mit Netzbetreibern, um auszuloten, welche dieser Förderungsmodelle eigentlich am attraktivsten ist. Eine Förderung, die ich nicht verstehe, nutze ich nicht. Macht es einfacher für die Leute, betreibt ein bisschen mehr Aufklärung, schaut nach Österreich und pusht jetzt den Rollout der Smart Meter. Damit können wir auf dem Weg in die Energiewende bis 2030 locker 20 Prozent des Weges gehen, ohne zehn Milliarden in ein neues Kraftwerk zu stecken.“

Oder die Regierung verpflichtet alle, eine smarte Heizungssteuerung zu nutzen wie in Frankreich …
„Ich bin kein Freund von Verpflichtungen oder komplexen Förderungen. Das hat ganz viele Nachteile. Wenn die Menschen zu etwas verpflichtet werden, sind es in der Regel nicht diejenigen, die dann aus dem System wirklich das Beste herausholen. Zudem entstehen Nachteile, weil sofort alle Lobbygruppen Einfluss nehmen. In Frankreich hat übrigens ein französischer Konzern einen Paragrafen ins Spiel gebracht, der es verhindert, dass die beste Lösung greift. Es drohte zwischenzeitlich, dass billige, minderwertige Thermostate aus chinesischer Produktion mit eingebracht werden. Deswegen: Finger weg von zu starker Förderung und Einschränkung, lieber den Weg frei machen und die Dinge kommunizieren und dafür sorgen, dass der Rahmen stimmt! Ich bin der Letzte, der nach Subventionen schreit.“

Jetzt haben wir so viel von Energieeffizienz bei Ihren potenziellen Kunden gesprochen – wie sparen Sie mit Ihrer Familie zu Hause Strom?
„Ich bin tatsächlich seit neuestem mit einer Wärmepumpe, einer Wallbox und auch mit PV ausgestattet – also das perfekte Setting. Ich bin gerade dabei, auf einen dynamischen Stromtarif umzustellen und erlebe jetzt selbst als Kunde die Komplexität, sich einen Smart Meter einbauen zu lassen. Momentan telefoniere ich gerade noch hinterher und erlebe so also selbst die Kundenreise. Das trifft sich eigentlich ganz gut, denn ich möchte ja gerade als CEO von Tado sehen, was wir als Anbieter für den Kunden weiter vereinfachen können.“

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