21. Dezember 2021, 13:07 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Auch dieses Weihnachten wird wieder mal etwas anders sein. Wir können aber ein schönes Fest daraus machen, ist sich Familienpsychologin Julia Dreseler sicher. myHOMEBOOK hat sie verraten, wie wir in diesem Jahr stressfrei durch die Weihnachtsfeiertage kommen, uns auf die veränderte Situation einstellen und warum Konflikte auch Nähe schaffen können.
Einige Dinge, bei denen uns sonst zuverlässig alle Jahre wieder kurz vor Weihnachten der Stress ausbricht, haben sich in diesem Jahr von ganz allein in Luft aufgelöst. Kein Gehetze durch scheinbar endlose Weihnachtsfeiern. Keine komplizierten Überlegungen, wen man wo und wann an der Festtafel platziert. Viele dürften in diesen Tagen auf eine erstaunlich übersichtliche To-do-Liste blicken. Doch auch wenn das Weihnachtsfest im kleinen Kreis gefeiert wird, gibt es durchaus einige Stolperfallen, die schnell zu Frust untereinander führen können.
Nicht wenige von uns hadern auch mit den Einschränkungen. Zu wissen, dass man nicht mit seinen Lieben feiern, nicht den Kindern beim freudigen Auspacken der Geschenke zuschauen kann, stimmt traurig. Von Vorfreude gar nicht zu reden. Auch viele der klassischen Rituale zur Weihnachtszeit entfallen. Dabei hätte man diese Sicherheit und Geborgenheit vermittelnden Riten gerade jetzt nötiger denn je. Jedoch verbirgt sich in diesem besonderen Weihnachtsfest auch viel Potenzial. Die Familienpsychologin Julia Dreseler verrät auf Nachfrage von myHOMEBOOK, wie wir trotz oder gerade wegen Corona ein erfüllendes, entspanntes und vor allem stressfreies Weihnachten feiern können.
Übersicht
- 1. Heben Sie Weihnachten als „das Fest der Liebe“ vom Podest
- 2. Im Vorfeld klar kommunizieren, um stressfrei Weihnachten zu feiern
- 3. Die Erwartungen herunterschrauben
- 4. Laden Sie Ihr „erwachsenes Ich“ ein
- 5. Kreativ sein und neue Rituale schaffen
- 6. Mögliche Konflikte als Chance sehen
- 7. Das Miteinander bewusst genießen
1. Heben Sie Weihnachten als „das Fest der Liebe“ vom Podest
An kaum ein anderes Fest werden solch hohe Erwartungen wie an das Weihnachtsfest geknüpft: Möglichst perfekt hat die Gans zu sein, die Stimmung fröhlich und auch die Festtafel muss natürlich dem Vergleich auf Instagram standhalten. „Das Fest der Liebe toleriert keine Konflikte. Ein perfekter Ablauf wird erwartet. Je mehr Harmonie ein Muss ist, desto mehr wächst allerdings der Druck auf alle Beteiligten. Umso höher ist dann auch im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Konflikten kommt oder das Weihnachtsfest eben nicht ‘perfekt‘ ist“, weiß Julia Dreseler.
„Setzen Sie sich selbst nicht zu sehr unter Druck. Reduzieren Sie Erwartungen an sich selbst, Ihre Mitmenschen und einen idealen Ablauf. Dazu kann es auch gehören anzuerkennen, dass der Anspruch auf eine ‘heile Welt‘ vielleicht unrealistisch ist. Keine Familie ist perfekt. Das Leben ist bunt. Spannungen sind ein Teil des menschlichen Miteinanders.“
2. Im Vorfeld klar kommunizieren, um stressfrei Weihnachten zu feiern
Ob Organisation, Vorlieben oder Geschenkewünsche: Enttäuschungen oder falsche Erwartungen lassen sich oft bereits im Vorfeld einfach und unproblematisch vermeiden, wenn klar kommuniziert wird. „Sinnvoll ist es auch, mögliche Ängste der Einzelnen im Vorfeld zu thematisieren. Wer beispielsweise Angst vor Ansteckung hat und lieber allein feiern möchte, darf dies, ohne dafür abgewertet zu werden.“
Denn wie die Psychologin weiß, sind Toleranz, Offenheit für Neues, Humor, aber auch das Verhandeln von Wünschen dieses Jahr stärker denn je gefragt.
3. Die Erwartungen herunterschrauben
„Wir befinden uns derzeit in einer Extremsituation, die die Nerven der meisten Menschen stark strapaziert. Es existieren spaltende Ansichten zu der momentanen Lage, die einige Beziehungen auseinanderdriften lassen. Viele Menschen leiden unter Ängsten, fühlen sich isoliert, sind im Stress durch veränderte Arbeitsbedingungen, Home-Schooling, etc. Durch all dies entsteht ein stark erhöhtes Konfliktpotenzial.“ Allein sich dies bewusst zu machen, kann schon helfen, ein entspanntes, stressfreies Weihnachten zu erleben.
Auch die Einstellung, dass eben solche Extremsituationen durch menschlichen Zusammenhalt am besten gemeistert werden können, kann viel bewirken. „Dieses Weihnachten wird ein anderes sein. Wir können aber ein gutes daraus machen, indem wir unsere Erwartungen herunterschrauben und dadurch vielleicht sogar positiv überrascht werden“, so Dreseler.
4. Laden Sie Ihr „erwachsenes Ich“ ein
Feiern wir mit unserer Ursprungsfamilie, werden nicht selten alte Rollenmuster reaktiviert. Auch wenn wir erwachsen sind, ein eigenes Leben führen, vielleicht gar eine eigene Familie haben: „Im Kreis der Ursprungsfamilie fallen wir leicht wieder in die Rollen zurück, die wir als Kinder hatten. Der eine fühlt sich neben dem älteren Bruder zu wenig beachtet oder nicht ernst genommen. Es entsteht Eifersucht. Auch Aufgabenverteilungen können als ungerecht empfunden, ehemalige Bündnisse reaktiviert werden. Verletzlichkeiten können ein ‘wunder Punkt‘ von damals sein, die wir immer noch in uns tragen und welche mit dem Jetzt nicht mehr unbedingt etwas zu tun haben.“
Hier kann es hilfreich sein, sich immer wieder sein „erwachsenes Ich“ in der Vorstellung dazu zu holen und sich vor Augen zu führen, dass sich die Zeiten und Rollen durchaus gewandelt haben.
5. Kreativ sein und neue Rituale schaffen
Alle Jahre wieder: das gleiche Essen, der kitschige Weihnachtspulli und wehe, die Gäste halten sich nicht an das über die Jahre eingeprobte Prozedere der Geschenkübergabe. Doch sind wir einmal ehrlich: Garantiert gibt es für jeden von uns mindestens eine Sache, die wir aus Tradition an Weihnachten so und nie anders machen, aber die uns nicht wirklich erfüllt, ja vielleicht sogar lästig ist. Jetzt haben wir die Chance, die Karten der Weihnachtsrituale neu zu mischen. „Wir sind gefordert positiv zu denken, das Beste aus der Situation zu machen, flexibel zu sein, umzudenken und den Ist-Zustand, wenn möglich, sogar als etwas zu betrachten, das uns neue Rituale entwickeln lässt. Wir können die Situation nicht ändern, wohl aber unsere Einstellung dazu. Letztlich ist die Lage ein Appell an unsere Kreativität. Vielleicht entwickeln wir neue Rituale, von denen wir einige sogar in Zukunft beibehalten möchten?“
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6. Mögliche Konflikte als Chance sehen
Konflikte sind ein Teil des menschlichen Miteinanders und können sogar Nähe schaffen – vorausgesetzt, sie werden gut geklärt. „Konflikte nicht zu verteufeln, kann eine gute Strategie sein. Auch am Weihnachtsfest können sie entstehen. Um dennoch ein entspanntes, stressfreies Weihnachten zu verleben, kann es hilfreich zu sein, sich im Vorfeld zu überlegen, welche Themen wir mit welchem Familienmitglied vielleicht klären möchten und dies, wenn möglich, zu einem anderen Zeitpunkt tun, damit das Weihnachtsfest für alle Beteiligten entspannter sein kann“, erläutert die Expertin.
Eine entscheidende Rolle spielt es auch, den Fokus auf das Positive zu richten: „Bei allem, was uns am anderen stört: Was schätzen wir dennoch an ihm und was an unserer Familie generell? Wie kann ich den Einzelnen mehr wertschätzen, ihm etwas Positives sagen und ihn annehmen, wie er ist? Auch wenn Weihnachten als ‘das Fest der Liebe‘ uns nicht unter Druck setzen sollte, kann es uns helfen, sich darauf zu besinnen, dass wir uns gernhaben und uns helfen, uns auf das Gute zu besinnen und Enttäuschungen sowie mögliche Konfliktpunkte zu relativieren. Und wenn es eben doch zu Streit kommt, so denken Sie daran, dass keine Familie perfekt ist. Nun kann es immer noch ein Ziel sein den Konflikt zu einer kleinen Auseinandersetzung zu machen statt zu einem großen Zerwürfnis.“
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7. Das Miteinander bewusst genießen
Dadurch, dass manch ablenkende Aktivitäten wie Kirch- und Restaurantbesuch oder Weihnachtsmarktbummel wegfallen, entsteht mehr Raum für Gespräche und Zeit für gemeinsame Aktivitäten, die das Miteinander stärken können. Dies sollten wir nutzen. Inspiration gefällig?
- Singen
- Musizieren
- Weihnachtsgeschichten vorlesen
- gemeinsame Spaziergänge
- Brettspiele spielen
- gemeinsam in Fotoalben stöbern
- längeres Telefonat mit nicht anwesenden Familienmitgliedern
- weihnachtliches Videotreffen mit Freunden und Verwandten
Ein kleiner Kreis an Anwesenden erleichtert uns auch das Eingehen auf die individuellen Wünsche der Einzelnen. „Hier ist beispielsweise eine Wünsche-Runde im Vorfeld denkbar, je nach Alter auch mit den Kindern. Vielleicht möchte der eine ein bestimmtes Spiel spielen, der andere ein bestimmtes Essen zu sich nehmen und der Dritte einen Spaziergang machen?“
Besonders wichtig für ein entspanntes, stressfreies Weihnachten ist nicht zuletzt die Einstellung. Denn es ist anders als sonst, aber es kann auch schön sein und wir machen das Beste daraus.